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Mir ist das nie als etwas besonderes vorgekommen

Exil und Emigration der Buchhändlerin Susanne Bach

In der Reihe „Lebenswege“ stellen wir heute die 1909 in München geborene Susanne Bach vor. Die promovierte Romanistin hat im Herbst 1933 Deutschland verlassen, weil sie spürte, dass sie als Jüdin in Deutschland keine Zukunft hatte. Sie zog nach Paris, das für sie weniger Exilort, denn Wahlheimat war, und lebte dort, bis die Nazis 1940 Frankreich angriffen. Wie die meisten antifaschistischen Flüchtlinge aus Deutschland wurde sie zunächst durch die französischen Behörden deportiert, schlug sich danach nach Marseille durch und kam schließlich auf dem Schiff nach Brasilien, wo sie – unterbrochen durch einen knapp zweijährigen Aufenthalt in Frankreich – über 40 Jahre leben sollte. In Brasilien baute sie sich als Buchhändlerin und Antiquarin eine eigene Existenz auf. Als erste Buchhändlerin begann sie in den fünfziger Jahren damit, brasilianische Bücher ins Ausland zu exportieren. Seit einigen Jahren lebt Susanne Bach wieder in München, wo sie Gert Eisenbürger im Dezember 1991 besucht hat.

Gert Eisenbürger

Frau Bach, Sie haben im Oktober 1933 Deutschland verlassen und sind nach Frankreich gegangen. Was waren die Gründe für Ihre frühzeitige Emigration, Sie waren – soweit ich weiß – nicht politisch aktiv und zu diesem Zeitpunkt noch nicht unmittelbar gefährdet.

Nicht unmittelbar gefährdet, aber als Jüdin doch gefährdet. Ich habe eingesehen, daß ich als Jüdin keine Zukunftsperspektiven in Deutschland hatte. Ich hatte 1932 in der Romanistik meinen Doktor gemacht. Dann wollte ich zum „Thesaurus Linguae Latinae“, das ist eine ganz große wissenschaftliche Sache zur Erforschung des lateinischen Wortschatzes und da haben sie mich als Jüdin nicht genommen. Das habe ich verstanden und dann bin ich weg.

Sie sind dann nach Paris gegangen. Wie haben Sie in Frankreich Ihren Lebensunterhalt verdient?

Durch ein Komitee habe ich eine Stellung bekommen in der für mich genau richtigen Buchhandlung, nämlich einer Buchhandlung für romanische Sprachen und Philologie. Und da war ich dann jahrelang.

In Ihrer Autobiographie „Karussell – Von München nach München“ liest sich der Teil über Ihren Aufenthalt in Paris wie eine Liebeserklärung an diese Stadt. Was hat Sie an dieser Stadt so fasziniert und warum haben Sie sich dort – trotz der ungesicherten wirtschaftlichen und politischen Situation so wohl gefühlt?

Das war einfach kongenial, das kann man nicht beschreiben. Mich hat alles begeistert, die Straßen, die Gebäude, die Buchhandlungen, die Menschen teilweise – nicht alle –, einfach die Atmosphäre dieser Stadt. Paris war schon in meiner Schulzeit die Stadt meiner Träume gewesen und ich war während meines Studiums mehrmals dort gewesen. Ich hatte also schon einen Eindruck von der Stadt, bevor ich im Oktober 1933 ganz dorthin zog. Ich wollte nach Paris und war bereit, mich ganz auf diese Stadt einzulassen und an ihrem intensiven Leben teilzunehmen. Ich habe mich dort nicht als Flüchtling gefühlt, da noch nicht, das kam erst in Brasilien.

In Ihrem Buch hat mich in der Beschreibung Ihrer Jahre in Frankreich eine kleine Szene sehr beeindruckt, und zwar die Schilderung eines kurzen Besuches auf einem deutschen Schiff im Hafen von Boulogne. Sie schreiben da, (ich) „war erschüttert von der germanischen Atmosphäre, die auf diesem Schiff herrschte. Es ist unvorstellbar, wie sich auf wenigen Quadratmetern von Holzplanken, mitten in französischen Gewässern, ein vollständiger Organismus bewahren kann, der einer geographisch entfernten Diktatur, ihren Gesetzen und ihrer Mentalität gehorcht. Diese Tatsache, die aber nur eine von vielen gleichartigen war, beeindruckte mich so sehr, daß die wenigen Minuten in dieser konzentrierten Naziatmosphäre in meinen Erinnerungen zum Alptraum wurden.“ (S. 51) Was machte diese erdrückende Atmosphäre aus?

Da war einfach alles Nazi, das ganze Schiff war ja deutsch. Das Ganze war Nazi und natürlich gab es überall Hakenkreuze und so Sachen. Wenn man aus Frankreichkam, da war da so ein Unterschied, diese Naziatmosphäre, der Befehlston und das alles, das kann ichjetzt nicht im Einzelnen wiedergeben, das war wirklich erschütternd.

Was hat der Ausbruch des 2. Weltkriegs für Sie bedeutet, und wie hat er Ihr Leben verändert?

Es hat mein Leben insofern verändert, als ich im Mai 1940 als deutsche Staatsbürgerin in ein Lager nach Gurs in Südfrankreich kam. Alle Deutschen wurden damals interniert, die Franzosen hatten andere Sorgen, als unter den deutschen Staatsangehörigen zwischen Nazis und Anti-Nazis zu unterscheiden, und da wurden wir Anti-Nazis genauso eingesperrt wie die Nazis. Die meisten der in Gurs internierten Frauen waren Antifaschistinnen. Das Lager Gurs hatte 20 „ilots“ (Abteilungen), jedes „ilot“ hatte mehrere Baracken, und jede Baracke hatte 60 Insassinnen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und die hygienischen Verhältnisse waren unzureichend. Aber die schwierigen Lebensumstände waren nicht das schlimmste, auch nicht der Stacheldraht, sondern die erzwungene Untätigkeit und die völlige Aussichtslosigkeit.

Sie kamen dann 1941 aus dem Lager Gurs heraus und gelangten über Vichy nach Marseille. Dort kamen Sie dann in die Atmosphäre, die Anna Seghers in ihrem Roman „Transit“ beschreibt...

...genau so war es, es war genau so, wie Anna Seghers es in dem Roman darstellt. Ich habe zuerst versucht, ein amerikanisches Visum zu bekommen, aber das war aussichtslos. Dann schrieb mir eine Freundin aus Genf, sie könnten für eine Gruppe von Emigranten Visa für Venezuela bekommen, ob ich mitwollte. Ich stimmte sofort zu. Kurz darauf schrieb sie, das mit Venezuela sei nichts geworden, nun sei es Brasilien. Wieder schrieb ich ihr, daß ich gerne mitwollte, und ich bin heilfroh, daß es Brasilien war und nicht Venezuela, aber es war reiner Zufall, ich habe nichts ausgesucht. Unsere Gruppe um dr. Görgen bestand im ganzen aus 30-40 Personen, nicht nur Juden, sondern auch Nichtjuden. Es waren überwiegend Deutsche sowie einige Tschechen und Österreicher.

Sie schreiben, daß Sie schließlich mit einem tschechoslowakischen Paß und einem gefälschten katholischen Taufschein nach Brasilien gekommen seien.

Einer aus der Gruppe, Johannes Hoffmann, der spätere Ministerpräsident des Saarlandes, hatte gute Beziehungen zum Vatikan und da das brasilianische Konsulat damals an Juden keine Visa gab, hat er den Juden, die in der Gruppe waren, Taufscheine fürs Konsulat verschafft. Dadurch haben wir die Visa bekommen. Am 28. April 1941 haben wir von Lissabon aus Europa verlassen.

Kurz nach Ihrer Ankunft in Brasilien wurde Ihre Tochter Catharina Isabel geboren. Sie lebten dann als alleinstehende Frau mit Kind in einem völlig fremden Land. Wie haben Sie es in Brasilien geschafft, Fuß zu fassen?

Durch Arbeit. Ich habe immer gearbeitet. Zur Geburt meiner Tochter kam ich nach Petropolis bei Rio in ein Klosterkrankenhaus mit Maternité, das von deutschen Katharinenschwestern geleitet wurde. Das hae ich auch durch den Johannes Hoffmann bekommen. Die haben mich da wunderbar behandelt, und umsonst. Und dann, sobald ich laufen konnte, sobald ich nur krabbeln konnte, bin ich nach Rio gefahren – das Baby habe ich zunächst bei den Schwestern gelassen – und habe mir eine Stellung gesucht und auch gefunden.

Sie waren als Frau immer selbständig. War das in den dreißiger oder vierziger Jahren nicht sehr mutig und ungewöhnlich?

Das glaube ich nicht, das kommt einem jetzt so vor. Den Hiesigen kommt das jetzt so vor, aber ich glaube nicht, daß das so ungewöhnlich war. Mir ist das nie als etwas besonderes vorgekommen.

War es schwierig, in Brasilien als Ausländerin akzeptiert zu werden?

Gar nicht schwierig, weil die Brasilianer so nett und zuvorkommend sind. Die Brasilianer, besonders die einfachen Leute, sind so liebenswürdig und offen, die freuen sich, wenn man kommt. Die haben Ausländer gern, die sagen nicht Mist-Ausländer, jedenfalls damals war es so, damals 1941.

Sie schreiben, daß Sie sich in Rio vorwiegend in französischen Emigrantenkreisen bewegt und am kulturellen Leben der französischen Emigration partizipiert haben. Haben Sie bewußt Distanz zu deutschen Flüchtlingen bewahrt, oder gab es keine ausgeprägte deutsche Exilszene?

Es gab in Rio nicht so schrecklich viele deutsche Emigranten, es gab schon welche, aber nicht so viele wie etwa in den USA oder Argentinien. Kulturelle Aktivitäten der deutschen Emigration gab es auch keine, es gab später ein deutsches Theater, aber erst Jahre später, vorher gab es da nichts.

Sie sind unmittelbar nach Kriegsende noch einmal nach Frankreich zurückgegangen, bevor Sie dann 1948 endgültig – zumindest für weitere 35 Jahre – nach Rio übergesiedelt sind. Warum wollten Sie zunächst aus Brasilien weg und sind doch wieder dorthin zurückgekehrt?

Ich bin nach dem Krieg aus Rio weggegangen, weil ich gedacht habe, da ist doch keine Zukunft für mich. Ich wollte versuchen, mich in Frankreich naturalisieren (einbürgern) zu lassen, das ging aber nicht, sie wollten mich nicht, und da haben ich eingesehen, daß das keinen Zweck hat, und bin zurück nach Brasilien, bevor meine Aufenthaltsgenehmigung dort abgelaufen war. Die galt zwei Jahre, und kurz bevor diese zwei Jahre abliefen, bin ich zurück. Ich dachte auch, meine Tochter, die ja Brasilianerin war, sollte in ihre Heimat zurückgehen.

Durch Ihre gesamte Biographie zieht sich ein großes Thema, und das sind Bücher. Sie haben in Paris in einer Buchhandlung gearbeitet, haben dann sogar im Internierungslager eine Leihbücherei organisiert, haben dann bei Ihrem ersten Aufenthalt in Rio wieder in einer Buchhandlung gearbeitet...

... und dann wurde ich selbst Buchhändlerin. Zuerst nur Antiquariat und dann auch neue Bücher.

Ihre Buchhandlung war die erste, die Bücher aus Brasilien exportiert hat. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich kannte durch meine Tätigkeit in Paris viele englische, französische und US-amerikanische Universitätsbibliotheken, und die haben alle französische Bücher importiert, und da habe ich gefunden, die sollten auch brasilianische Bücher importieren, und habe das propagiert, und meine erste Liste, mein erster Katalog hatte nur 24 Nummern, stellen Sie sich vor, so wenig. Und dann waren die ausverkauft, und ich habe mehr kaufen können, so ist es weitergegangen. Es ist sehr gut gegangen, z. B. in den USA gibt es sehr viele Institute für portugiesische Sprache. Aber auch die anderen Bibliotheken, die British Library in London, die Bibliothèque Nationale in Paris oder hier in München die Bayrische Staatsbibliothek gehörten von Anfang an zu meinen Kundinnen und importieren jetzt alle brasilianische Bücher.

Sie erwähnen in Ihrem Buch, daß Sie in Brasilien auch für Zeitschriften geschrieben haben. Worüber haben Sie geschrieben?

Ach, das waren so kleine Artikelchen, so kleine Chroniken aus dem Alltagsleben, dann habe ich für eine französische Zeitung über Künstler geschrieben, über die Biennale von São Paulo, solche Sachen. Und kleine Short Sories habe ich auch geschrieben. Später, nach 1970, habe ich gelegentlich Buchbesprechungen verfaßt, das mache ich heute noch.

Sie haben dann Anfang der siebziger Jahre begonnen, systematisch deutsche Exilliteratur zu sammeln. Woher kam dieses Interesse, und wie kam es zur Hinwendung zur Exilliteratur?

Das kam daher, daß ich in Antiquariaten in Rio deutsche Exilbücher fand. Deutsche Büher, die in Holland erschienen waren oder sonstwo. Und dadurch bin ich darauf aufmerksam geworden. Un dann wurde ich sehr aufmerksam und habe sie überall gesucht.

Haben Sie die Bücher nur aus privatem Interesse gesammelt, oder haben Sie auch damit gehandelt?

Ich habe sie auch verkauft, ich habe Listen zusammengestellt mit Exilbüchern. Ich habe dann auch über Exilliteratur geschrieben. Mein erster Artikel über Exilliteratur ist 1972 in Deutschland erschienen.

Dann habe ich etwas gemacht, was außer mir – soviel ich weiß – kein Mensch jemals gemacht hat. Ich habe mich für französische Exilliteratur interessiert. Das gibt es nämlich auch, z. B. Bernanos, der war im Exil in Brasilien und hat in Brasilien französische Bücher veröffentlicht. Und andere gab es, da habe ich auch eine Liste gemacht oder zwei, aber ich habe nie gehört, daß darüber irgendjemand arbeitet.

Wer waren die Kunden, die bei Ihnen Bücher aus dem Exil gekauft bzw. bestellt haben? Waren das Privatpersonen oder waren das Bibliotheken?

Das waren vor allem die großen Bibliotheken oder Institute in Europa und den USA. Die deutsche Bibliothek in Frankfurt, die hat viel von mir gekauft, die sammeln ja die Exilliteratur. Es war nicht einfach für die, an viele dieser Bücher heranzukommen, das ging nur mit jahrelangen Bemühungen und für viel Geld. Die Bücher der Exilverlage sind heute äußerst selten, am seltensten sind die aus Mexiko. Das waren ganz kleine Auflagen, nur 500 bis 800 Exemplare, die sind größtenteils irgendwie verschollen.

Wie kamen Sie an die Exilbücher, die Sie vertrieben haben?

Das können Sie einen Antiquar nicht fragen. Das sagt der Antiquar nie, wo er die Bücher herbekommt. Das ist Zufall, die findet man bei anderen Antiquaren oder in anderen Katalogen oder auch manchmal in Privatbibliotheken, das ist alles.

Sie sind dann 1983 wieder von Rio nach München übergesiedelt. Warum?

Wegen meiner Enkel, ich habe zwei Enkel, die wohnen in München.

Welches der Länder, in denen Sie gelebt haben, würden Sie heute als Ihre Heimat betrachten?

Ich habe drei Heimatländer. Am längsten in meinem Leben war ich in Brasilien. Aber Heimat ist eigentlich doch München, nicht Deutschland, aber doch München, Bayern.

Haben Sie auch heute noch Kontakt nach Brasilien?

Ich fliege jedes Jahr für ein paar Wochen nach Rio und arbeite dann auch in der Buchhandlung. Ich bin heute aber nicht mehr an der Buchhandlung beteiligt.

Wann kamen Sie eigentlich auf die Idee, Ihre Erinnerungen zu schreiben?

Das Buch „Karussell – Von München nach München“ besteht ja aus zwei Teilen. Der erste ist mein Buch „Heinweh nach Frankreich“. Das habe ich 1943 in Rio geschrieben und das ist dort auch – auf französisch – erschienen. Das gehört zur Exilliteratur. Der zweite Teil, den ich nach meiner Rückkehr nach München geschrieben habe, ist eben die Fortsetzung, weil ich mir gedacht habe, man möchte doch wissen, wie es weitergeht.

Frau Dr. Bach, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch mit Susanne Bach führte Gert Eisenbürger im Dezember 1991 in München.