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Sie wollen gehört werden

Der Film „Sachamanta“ über selbstverwaltete Radios und den Kampf von Kleinbauern in Argentinien
Alix Arnold

Es ist wie bei einer Tortilla. Wenn man das Mehl mit dem Wasser vermengt, muss alles in Bewegung bleiben, sonst vermischt es sich nicht richtig. Bei der Organisation ist das genauso: Wir müssen uns immer weiter bewegen, nur so halten wir richtig zusammen. Wenn man den Teig für die Tortilla knetet, bleiben immer kleine Stückchen am Rand der Schüssel zurück. Man muss sie immer wieder dazutun. Genauso ist es auch bei uns.“ Während die Bäuerin in einem Holztrog bedächtig den Teig bearbeitet, gibt sie uns nebenbei eine der schönsten Erklärungen, die ich bislang zur Organisierung gehört habe. Ihre Organisation ist die Bewegung von Kleinbauern MOCASE–Via Campesina (Movimiento Campesino de Santiago del Estero), die im Norden des Landes seit mehr als 20 Jahren gegen den Landraub kämpft (siehe auch Artikel „Unsere Waffe ist unsere Fahne“ in ila 289). 6000 Familien sind im MOCASE-VC organisiert. An den Konflikten in der Provinz Santiago del Estero sind 20 000 Familien aus verschiedenen Organisationen beteiligt. Es geht um drei Millionen Hektar, die angebliche Besitzer und Großunternehmen den Bauern, die das Land seit Generationen bearbeiten, abnehmen wollen. Sie kommen mit der Polizei und bewaffneten Schlägertrupps, um die Bauernfamilien zu vertreiben und das Land einzuzäunen. Aber die Kleinbauern stellen sich gemeinsam den Bulldozern in den Weg, die ihre Häuser zerstören wollen, reißen die Zäune wieder ein und erobern ihr Land zurück. Inzwischen werden selbst rechtskräftige Räumungstitel nicht umgesetzt, weil das politisch nicht mehr durchsetzbar ist. Bedrohte Bauern bekommen bei MOCASE-VC Rechtsberatung und tatkräftige Unterstützung: „Mein Mann wollte schon aufgeben, der arme. Nach dem Motto: Was sollen wir machen, wir haben kein Geld für einen Anwalt. Aber ich sagte zu ihm: Wofür gibt es die Bewegung, in der sich die Kleinbauern zusammenschließen? Wir kämpfen seit neun Jahren für unsere Rechte. Uns stand das Wasser bis zum Hals, aber langsam verbessert sich unsere Lage. Dank Gott und Dank der Bewegung!“

Auf dem ersten Kongress von MOCASE-VC im Jahr 2000 ist eins der wichtigsten Themen die fehlende Kommunikationsstruktur. Sie brauchen eigene Medien, um ihre Situation und Forderungen in die Öffentlichkeit zu bringen und Verbindungen zwischen den weit verstreut lebenden AktivistInnen herzustellen. Was damals nach einem gewagten Vorsatz klang, ist heute Realität. Bäuerinnen und Bauern betreiben fünf eigene Radiosender, mit denen sie unzensiert über ihre Erlebnisse berichten, Aufrufe verbreiten und Wissen zu rechtlichen und politischen Fragen zur Verfügung stellen. Wie man Radio macht, bringen sie sich gegenseitig bei. Immer neue Compañer@s lernen, selbst Sendungen zu machen: „Ich bin ein typischer Landbewohner und habe nur die Grundschule besucht. Als ich mich ins Radio traute, war das für mich eine bewegende Erfahrung. Auch meine Hörer haben gestaunt! Die dachten sich wohl: ‚Da schau an, sogar Paisa ist im Radio. Wenn der sich das traut, dann kann ich das auch!’ Durch mich wurde ihnen klar, dass man nicht studiert haben muss, um Radio zu machen.“

Es gibt keinen festen Sendeplan. Wer Zeit hat, kommt zur Station und setzt sich ans Mikro. Auch Menschen, die nicht zur Bewegung gehören, nutzen die Radios, um Nachrichten oder Grußbotschaften zu verbreiten. Einmal im Monat treffen sich Delegierte aller fünf Sender. Ansonsten werden die Entscheidungen in den Radios unabhängig voneinander getroffen. Diese Struktur entspricht ihrer Idee der Autonomie, aber sie wurde auch aus Sicherheitsgründen gewählt. Wenn eine Station ausfällt, können die anderen weitersenden. Viele Leute kommen vorbei, um die Radios zu unterstützen, mit Zucker und Matetee für die RadiomacherInnen, mit ein paar Pesos oder mit Nachtwachen, um die Sender vor Angriffen zu schützen. Die Radios haben das Leben in der Provinz verändert. Sie sind eine Schule für die Gemeinschaft, sie mobilisieren Widerstand und stellen Verbindungen her, auch zwischen Stadt und Land. Compañer@s des Alternativradios La Tribu aus Buenos Aires haben den Aufbau der Radios mit Technik und durch die Beschaffung von Spendengeldern unterstützt. Als ich sie bei einer meiner Reisen traf, waren sie gerade aus Quimilí zurückgekommen, wo sie geholfen hatten, den ersten MOCASE-Sender ans Laufen zu bringen. Sie berichteten, dass es für sie als StadthektikerInnen sehr schwer gewesen sei, sich dem ruhigen Rhythmus der LandbewohnerInnen anzupassen, aber es sei eine großartige Erfahrung gewesen, bei der sie viel gelernt hätten.

MOCASE-VC ist eine autonome basisdemokratische Bewegung. Entscheidungen werden im Konsens getroffen und Kollektivität hat einen hohen Stellenwert, bei der Arbeit wie bei den Aktionen. Dem entspricht die Machart des Films. Es gibt keinen Kommentar, nur O-Töne. Die AktivistInnen der Bewegung kommen selbst zu Wort, was gefilmt werden sollte, wurde gemeinsam entschieden, und sogar die Kamera ging von Hand zu Hand. Das Experiment kollektiver Kameraführung hat wunderschöne Bilder von Landschaft und Menschen produziert. Sachamanta bedeutet in der Sprache der Quechua „vom Berg“ und bezieht sich auf die Region Monte (span.: Berg, Buschwald), eine karge, heiße Gegend. Während wir die ProtagonistInnen sprechen hören, fahren wir über staubige Wege zu den Häusern, sehen die Pflanzen und Tiere, die Kochstellen im Freien, Versammlungen unter Bäumen, gemeinsames Matetrinken. Wir sehen, wie die Compañer@s sich einem Zaun nähern und ihn routiniert niederreißen – eine direkte Aktion gegen das Landgrabbing. Und wir sehen immer wieder Radios: die großen selbstgebauten Antennen, Computer, Mikrofone und Konsolen in winzigen unverputzten Räumen, FM Paj Sachama wird gezeigt, der einzige solarbetriebene Radiosender des Landes – und überall die kleinen Transistorradios, mit denen die Leute ihre Sendungen hören. Ein ruhiger Film über ruhige Menschen und ihren großartigen Widerstand.

Die Musik stammt von dem seit jeher solidarischen Folkmusiker Raly Barrionuevo. Der Film endet mit Musik und Tanz, mit einem Auftritt von ihm bei einem Solifestival im Freien. Aber das Projekt ist damit noch nicht zu Ende. Viviana Uriona und die Kameradisten sind mit dem fertigen Film noch einmal nach Argentinien gefahren. Dort stellen sie den ProtagonistInnen nicht nur das fertige Produkt vor, sondern auch die Reaktionen auf den Film in Deutschland. Sie haben bei Vorführungen gefilmt und bringen Briefe von ZuschauerInnen mit. Anstelle der üblichen journalistischen Einbahnstraße organisieren sie einen Austausch und diesen werden sie wiederum filmen. Der Folgefilm wird Espejo heißen, Spiegel.

Sachamanta. Gerechtigkeit wird immer erkämpft. Dokumentarfilm über Freie Radios in Nordargentinien von Viviana Uriona und Kameradisten, 2012, 47 min., span. mit dt. UT • Die Kameradisten stellen den Film für Veranstaltungen kostenlos zur Verfügung und die FilmemacherInnen kommen gerne zu Vorführungen, um die Fragen zu dieser Bewegung zu beantworten, die der Film offen lässt (Kontakt über die Website).