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Die können hier machen, was sie wollen

Peru: Der Megahafen Chancay soll den Handel zwischen China und Lateinamerika beschleunigen

Eine beschauliche Küstenstadt muss es gewesen sein: Chancay, 60 Kilometer nordwestlich von Lima gelegen, mit seinem romantischen Schloss, dem angrenzenden Feuchtgebiet Santa Rosa und dem Leuchtturm über der Bucht. Der Ort mit seinen gut 35 000 Einwohner*innen hat lange von Fischerei und Tourismus gelebt. Doch jetzt wird in der Bucht von Chancay der größte Containerhafen Südamerikas gebaut. Die mächtigsten Containerschiffe der Welt – mit einer Kapazität für jeweils 18 000 Container – könnten dort anlegen. Im Jahr 2019 schloss die peruanische Regierung mit der weltweit größten Reederei, China Ocean Shipping Company (COSCO), einen Vertrag zum Bau und Betrieb des Hafens. Ein Jahr später begannen die Bauarbeiten, die Inbetriebnahme ist für Ende 2024 angepeilt. COSCO hält 60 Prozent der Anteile, mit 40 Prozent ist die peruanische Firma Volcan Minería beteiligt. Die Bauarbeiten in der Bucht und die knapp zwei Kilometer lange Untertunnelung, die den Hafen mit einem Logistikzentrum verbinden soll, wofür die Berge neben Wohnsiedlungen weggesprengt werden, sorgen für Protest bei den Anwohner*innen. Vorläufiger Höhepunkt der chaotischen Baumaßnahmen: Im Mai 2023 sackten in Folge von Grabungsarbeiten ein Teil der Straße Panamericana und über ein Dutzend Häuser ab. Chancay ist ein trauriges Paradebeispiel dafür, wie geopolitische und außenwirtschaftliche Entwicklungen das Leben der ansässigen Bevölkerung ganz konkret beeinträchtigen. Um mehr über dieses Drama zu erfahren, hat sich Britt Weyde mit Miriam Arce zu einem Online-Gespräch verabredet. Arce ist in mehreren Basisorganisationen gegen die Auswirkungen des Bauprojekts aktiv, unter anderem bei der „Vereinigung zur Verteidigung der Häuser und Umwelt im Hafen von Chancay“(ADEVIMAP). Ihr Haus liegt direkt neben der Baustelle.

Britt Weyde

Miriam Arce erzählt die Vorgeschichte: „Vor etwa 15 Jahren begann hier eine Gruppe ehemaliger Marinesoldaten mit der Produktion von Fischmehl.“. Zentrale Figur war der pensionierte Marineadmiral Juan Ribaudo, Besitzer einer Fischmehlfabrik, die gegen Umweltauflagen verstieß. Eine Modernisierung war zu aufwändig. „Mit anderen ehemaligen Marineoffizieren beschloss er, in der Bucht, wo seine Fabrik stand, einen Hafen zu bauen. Aufgrund ihrer Kontakte in die Politik konnten sie loslegen, ohne bürokratische Hürden passieren zu müssen.“ Bald taten sie sich mit dem peruanischen Bergbauunternehmen Volcan zusammen. „Um einen Großhafen zu bauen, brauchst du Expertise und Kapital. Aber diese Herren hatten weder das eine noch das andere. Volcan genauso wenig. Doch die Politik genehmigte alles.“. Ab 2011 wuchs die Fläche für das Projekt, über 800 Hektar wurden aufgekauft. Der Kauf wurde über ein Offshore-Unternehmen auf den Virgin Islands abgewickelt. Über die Panama Papers kam heraus, dass Volcan diese Ländereien gekauft hatte. Im Jahr 2013 wird eine erste Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt. „Diese Prüfungen sind tendenziös, weil sie von den Unternehmen selbst finanziert werden. Und bei den öffentlichen Anhörungen zum Hafenprojekt wurden kritische Leute nicht reingelassen.“. Zum Beispiel die Kleinfischer, denen klar war, dass das Riesenprojekt die Fischerei vor Ort zerstören würde.

„Wir sind nicht per se gegen Investitionen oder einen Hafen“, stellt Miriam Arce klar. „Uns stört der Standort.“ Gibt es denn Orte, die besser passen würden? Flora und Fauna geraten bei Projekten solchen Ausmaßes immer in Mitleidenschaft. „Ja“, meint Miriam Arce, „sogar in Chancay selbst, etwas nördlicher. Aber diese Leute wollten es unbedingt an der Stelle machen, wo ihnen Land gehört. Das ist das Geschäft ihres Lebens.“ Allerdings fehlte es an weiterem Kapital, um durchzustarten. Unter der Präsidentschaft Pedro Pablo Kuczinskys (2016 bis 2018) intensivierte sich die Orientierung Richtung China. „Auf einer Chinareise suchte er als Vermittler nach kapitalstarken Partnern für das eigentlich rein private Hafenprojekt. In Peru waren sie nicht fündig geworden, weil klar war, dass es Probleme geben würde: Ärger mit den Anwohner*innen, zerstörte Strände und so weiter.“

Die Ausbaggerung für das Hafenbecken führt dazu, dass Sand weggeschwemmt wird und die Strände erodieren. Die aktuelle Maßnahme gegen die Erosion nennt sich „Geotubos“, riesige, mit Sand gefüllte Schläuche, verlegt an den betroffenen Strandabschnitten. Die hässlichen Riesenwürste bringen jedoch nicht den erwünschten Effekt. Sie tragen lediglich dazu bei, den Anblick der einst hübschen Bucht nachhaltig zu versauen.

Als der chinesische Partner mit an Bord war, nahm das Projekt Fahrt auf. „Die Chinesen wollten klotzen: Nicht nur einen Kai, sondern 15 bis 25 Kaianlagen.“ Um drei weitere genehmigen zu lassen, gab es 2020 eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung. „Auch die war tendenziös. Die öffentlichen Anhörungen fanden inmitten der Pandemie statt – also gar nicht“, empört sich Arce. „Die zuständige Umweltbehörde Senace hat alles abgenickt.“ Da die Ergebnisse der ersten Prüfung nie veröffentlicht worden und somit nicht anfechtbar waren, sorgten die Anwohner*innen nun dafür, dass sie an die Ergebnisse gelangten. Mit der Unterstützung des deutschen Biologen Stefan Austermühle stellten sie 50 Mängel und Inkonsistenzen fest, etwa dass die direkten Anwohner*innen als Betroffene gar nicht berücksichtigt werden. „Der Senace leitete das Dossier mit der Prüfung an COSCO weiter. Damit war das für den Staat erledigt.“

Die Öffentlichkeit ist über das Hafenprojekt und die möglichen Folgen schlecht informiert worden. „Der Bürgermeister von Chancay und die lokalen Medien spielten bei der Desinformationskampagne mit. Sie sind alle gekauft“, seufzt Arce. So hat sich die Mehrheit der Bevölkerung Chancays wenig um das Projekt geschert. Oder ließ sich von der Verheißung, COSCO werde Tausende von Arbeitsplätzen generieren, den Kopf verdrehen. „Wo sind sie, die versprochenen Arbeitsplätze? Vor allem in der Bauphase müsste es die geben, aber dem ist nicht so“, stellt Arce ernüchtert fest. „Und einmal in Betrieb, werden im Hafen keine Arbeitsplätze entstehen. Dort läuft alles automatisch ab.“

Die ansässigen Kleinfischer protestierten eine Weile gegen das Bauprojekt, wurden aber mit Kompensationszahlungen ruhig gestellt. Die direkten Anwohner*innen sind am meisten von den Grabungen für den Tunnel betroffen, die zum Teil in weniger als 100 Meter Entfernung stattfinden. „Unsere Häuser bekommen immer mehr Risse. Sie sprengen ganze Berge weg und verstümmeln die Landschaft. Seit das chinesische Unternehmen mit dabei ist, hat sich alles verschlimmert.“. Staub und Lärm beeinträchtigen die Gesundheit, Ungewissheit und Ohnmacht führen zu psychologischen Problemen. Dagegen regte sich Protest, den COSCO mit Zahlungen größtenteils ersticken konnte. Für entstandene „Unannehmlichkeiten“ bekommen Familien jeweils 600 Soles monatlich (etwa 150 Euro). „Sie müssen vertraglich versichern, nicht gegen das Projekt zu protestieren oder Klage zu erheben. Die meisten haben sich darauf eingelassen. Wenn du sie fragst, sagen sie, dass sie eigentlich dagegen seien. Aber das Unternehmen sei so mächtig und der Staat sei mit dabei. Wenn sie die Leute nicht mit Geld ruhigstellen würden, gäbe es hier einen Aufstand.“.

Menschen, die kritische Stimmen einbringen, werden mit Gerichtsprozessen überzogen, so auch Miriam Arce. „Die Anschuldigungen waren absolut haltlos, alles wurde eingestellt. Neulich zirkulierten Flugblätter mit der Behauptung, wir seien unglaubwürdig, weil uns NRO bezahlen.“. Ein Schlägertrupp des Unternehmens griff Arce letztes Jahr an. „Ich filmte bei Protesten. Da schlugen sie mich und nahmen mir mein Handy weg.“.

Arce verweist auf ein weiteres Problem: „Der Staat sieht nicht die geopolitische Problematik. Keiner weiß, wofür China den Hafen nutzen könnte. Zu diesem privaten Hafen kann sich niemand, auch nicht der Staat, Zutritt verschaffen. Die können hier machen, was sie wollen.“ Abschließend präzisiert Miriam Arce die Forderungen der betroffenen Anwohnerschaft: „Wir fordern eine Revision der Umweltverträglichkeitsprüfung, damit wir entschädigt werden, vor allem für unsere kaputten Häuser. Der Staat sollte sich um unsere Gesundheit kümmern, unsere Allergien, Atem- und Hautprobleme. Wir verlangen eine Kommission, die alle Genehmigungen überprüft. Vielleicht gibt es in Deutschland eine Organisation, die uns bei juristischen Schritten unterstützen kann? Schließlich fordern wir, dass es bei den vier genehmigten Kaianlagen bleibt und nicht weiter expandiert wird. Für 25 Kaianlagen würdeird enorm viel Platz benötigt. Das wäre unser Ende.“

Das Online-Interview mit Miriam Arce führte Britt Weyde am 28. August 2023.