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Milei ein Libertärer?

Gert Eisenbürger

Viele Berichte zur Wahl in Argentinien charakterisierten Milei als „libertär“, auch er selbst bezeichnet sich so. Google übersetzt das mit „extrem freiheitlich, anarchistisch“. Wikipedia schreibt: „Libertäre versuchen, Autonomie und politische Freiheit zu maximieren, und betonen freie Assoziation, Wahlfreiheit, Individualismus und freiwillige Vereinigung. Im politischen Spektrum sehen sich Libertäre als strikte Gegner von autoritärer Politik.“ 

Die anarcho-libertäre und libertär-sozialistische Linke sieht den kapitalistischen Staat vor allem als Instrument der herrschenden Klasse zur Kontrolle und Niederhaltung emanzipatorischer Bewegungen. Deshalb kritisiert sie auch die Staatsfixiertheit orthodoxer Linker und deren Vorstellung, mit der Kontrolle über den Staatsapparat sei eine sozial gerechte und radikaldemokratische Veränderung der Gesellschaft durchzusetzen. Tatsächlich werde dadurch aber nur die Herrschaft der Wirtschaftseliten und deren politischer Repräsentant*innen durch die einer politischen Bürokratie ersetzt. Wie jede Bürokratie tendiere diese zum Autoritarismus und habe primär die Konsolidierung und Erweiterung ihrer eigenen Macht zum Ziel. Die Geschichte der realsozialistischen Staaten habe dies sehr deutlich gezeigt.

Statt staatssozialistischer Modelle favorisieren libertäre Linke selbstverwaltete Strukturen, in denen Menschen, die in den gleichen Bereichen arbeiten und leben, sich selbst organisieren und mit möglichst wenig staatlicher Bevormundung weitgehend selbst verwalten. Neben den traditionellen anarchistischen und anarchosyndikalistischen Gruppen teilen auch die Zapatist*innen und große Teile der autonomen Linken ein solches Politikverständnis.

Mit dem Aufkommen des Neoliberalismus wurde der bürgerliche Staat von ganz anderer Seite in Frage gestellt. Konkret der zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und etwa 1980 in unterschiedlicher Weise durchgesetzte Sozialstaat, der Verteilungskonflikte über soziale Sicherungssysteme entschärft und ein weitgehend reibungsloses Funktionieren des Produktionsapparates garantiert hat. Die Neoliberalen sahen in vielen staatlich organisierten Bereichen (Gesundheitsversorgung, Bildung, Rentenversicherung) lukrative Anlagemöglichkeiten für das nach Renditen suchende Kapital. Wenn sie „weniger Staat“ und „Bürokratieabbau“ fordern, meinen sie die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme und die Stärkung der Wirtschaftsmonopole, denen niemand auf die Finger schauen soll. Wenn sich Figuren wie Milei als „libertär“ und antistaatlich bezeichnen, propagieren sie die Eliminierung all jener Elemente staatlicher Politik, die sozial Schwächere in irgendeiner Weise schützen und unterstützen. Dem Staat, der mit aller Gewalt soziale Proteste niederschlägt, huldigen sie dagegen, wie Milei im Wahlkampf deutlich machte, wo er „mit der vollen Härte des Gesetzes“ drohte, „wenn bei Demonstrationen die Gesetze nicht eingehalten werden“. Libertär ist das ganz sicher nicht!