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Der beschwerliche Weg zur Gleichheit

„Ni una menos“ in dem peruanischen Film „Warmiwañusqa“ (Pass der toten Frau)
Vera Lucía Wurst Giusti

Zwei von drei Frauen in Peru haben bereits irgendeine Form von Gewalt von Seiten ihres (Ehe-)Partners erfahren. Mit dieser Aussage beginnt der Dokumentarfilm Warmiwañusqa des Regisseurs Lali Houghton. Im Zentrum des Films steht Maximiliana Manuttupa, eine indigene Frau aus Cuzco, die Trägerin des berühmten Inka-Trail wird, um ihrer prekären Situation zu entkommen, nachdem sie ihren gewalttätigen Ehemann verlassen hat.

Im Jahr 2018 durften erstmals Frauen auf der viertägigen Wanderung durch die peruanischen Anden nach Machu Picchu eingesetzt werden, um Taschen für die Tourist*innen zu tragen, was bis dato nur Männern vorbehalten war. Mehr als eine Million Tourist*innen besuchen jedes Jahr die alte Inka-Zitadelle. Aber der Film fokussiert nicht auf die Tourist*innen, sondern auf die charismatische Maximiliana und ihre Beziehung zu den anderen Trägerinnen. Die Trägerinnen sprechen nüchtern über die traumatischen Erlebnisse, die sie mit den Männern hatten. Aber sie normalisieren sie nicht. Dennoch ist die Bedrohung durch männliche Gewalt allgegenwärtig. Maximiliana sagt zum Beispiel, dass sie aus Angst um die Sicherheit ihrer Tochter umziehen will, weil ihre Nachbarn die ganze Nacht Alkohol trinken. In einer anderen Szene erzählt Maximiliana von den Gewalttaten ihres Ex-Mannes, die sie am meisten betroffen haben. „Das ist es, was ich wohl auf meinem Rücken trage“, und sagt lachend: „Ich muss stark sein, um dieses Bündel auf dem Berg zu lassen!“ Der Weg nach Machu Picchu wird zu einer Metapher für die Überwindung des Traumas. Die Zuschauer*innen begleiten Maximiliana auf ihrer Wegstrecke, während sie über ihre Gewalterfahrungen nachdenkt. Wir sehen, wie sie den Ort überquert, der als „Pass der toten Frau“ bezeichnet wird, und sie triumphierend weitermacht, bis sie zum ersten Mal Machu Picchu erreicht, die heilige Stätte ihrer Vorfahren.

Der Dokumentarfilm bezieht sich auf Ni una menos, die feministische Bewegung, die sich ab 2015 als Reaktion auf das hohe Maß an Gewalt gegen Frauen in Lateinamerika formiert und in vielen Ländern verbreitet hat. Ni una menos bedeutet „Nicht eine weniger“: Nicht eine weitere Frau darf aufgrund machistischer Gewalt getötet werden. Die Ni una menos-Bewegung will zeigen, dass Gewalt gegen Frauen nicht willkürlich ist, sondern eine Folge der politischen, kulturellen und sozialen gesellschaftlichen Strukturen. Eine der Aussagen, die Ni una menos von den Feministinnen der 60er-Jahre aufgegriffen hat, ist „Das Private ist politisch“, also wie sich Machtdynamiken im öffentlichen Bereich im privaten Umfeld widerspiegeln. So geht beispielsweise der Mangel an Autonomie, den viele Frauen in ihren Beziehungen mit Männern empfinden, mit einem Mangel an wirtschaftlicher Unabhängigkeit einher. Der Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit wird auch zur mobilisierenden Kraft der Protagonistin. Die traditionell weiblichen Berufe, die sie bisher hatte, Wäsche waschen, kochen und Häuser putzen – werden schlecht bezahlt. Maximiliana klagt: „Ich arbeite viel, aber es ist nie genug.“ Deshalb geht Maximiliana gegen die Geschlechterrollen vor und hofft, als Trägerin ein besseres Gehalt und dadurch einen sicheren Platz für sich und ihre Tochter zu schaffen.

Der Dokumentarfilm zeigt subtil die Machtverhältnisse zwischen den Bewohner*innen Cuzcos und den ausländischen Tourist*innen auf. Während sich letztere im Schatten einer Markise an einem geschmückten Tisch entspannen, essen die Trägerinnen draußen und sitzen auf dem Boden. Eine andere Szene zeigt, wie Maximiliana die Packesel bemitleidet, denen sie unterwegs begegnet. „Die Armen!“, sagt sie, obwohl sie mehr Gewicht in ihrem riesigen Rucksack trägt. Die Tourist*innen neben ihr haben wenig bis gar nichts auf dem Rücken. In den vergangenen Jahren gab es viele Meldungen über die schlechten Arbeitsbedingungen der peruanischen Träger*innen. Viele haben sich darüber beschwert, wenig Essen und keine ausreichende Ausrüstung zu erhalten, zu viel Gewicht zu tragen und unter schlimmen Bedingungen zu schlafen. Aus diesem Grund wurde im Juli 2019 das Inka-Trail-Träger-Gesetz erlassen, das etwa das Gewicht begrenzt, das getragen werden darf.

Dieser Film teilt die wunderschönen Landschaften klassischer Reisedokumentationen, aber sie dienen nur als Hintergrund für eine wichtigere Geschichte, die in keinem Reiseführer zu finden ist, die schwere Last, die peruanische Frauen wie Maximiliana in einer sexistischen, klassistischen und rassistischen Gesellschaft tragen müssen.

Übersetzung: Jochen Hunold und Marie Roßdorf