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Chronik eines angekündigten Notstands

Uruguay: Anmerkungen zur „Wasserkrise“ in Montevideo

Es kommt selten vor, dass – jenseits von Wahlen oder Fußballspielen – Uruguay Thema in großen deutschen Medien ist. Mitte Mai schaffte es das Land jedoch sogar auf die Seite der Tagesschau. Unter dem Titel „Montevideo geht das Trinkwasser aus“ wurde darüber berichtet, wie sich die Regierung aufgrund anhaltend fehlender Niederschläge gezwungen sehe, salzhaltiges Brackwasser aus dem Río de la Plata in das Netz einzuspeisen, um die Wasserversorgung zu gewährleisten. Dabei blieben entscheidende Faktoren unerwähnt, die zu der „Wasserkrise“ geführt haben. An den mangelnden Niederschlägen allein liegt es bei weitem nicht, dass bestimmten Bevölkerungsgruppen mittlerweile von dem Konsum des Leitungswassers in der uruguayischen Haupthaupt abgeraten werden muss.

Wolfgang Ecker

Es ist trocken, viel zu trocken – und dies schon seit Jahren. Laut Erhebungen des uruguayischen meteoritischen Instituts INUMET akkumulierte sich in den vergangenen drei Jahren das Defizit an Niederschlägen auf ein bisher noch nie gemessenes Niveau seit dem Beginn entsprechender Aufzeichnungen vor 75 Jahren. In den Sommermonaten waren die Folgen unübersehbar: Bilder verdorrter Getreidefelder und abgemagerter, zum Teil sogar verendeter Rinder machten in den Medien die Runde. In einigen Provinzstädten des Südens wurde bereits vor Monaten Alarm geschlagen, dass das Wasserdefizit nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung gefährde.

Unterdessen feierte die Tourismusindustrie in der ersten Saison der Postpandemie Rekordeinnahmen. Über 1,2 Millionen Menschen aus dem Ausland verbrachten zwischen Januar und März ihren Urlaub in Uruguay, das selbst gerade einmal eine Bevölkerung von 3,5 Millionen zählt. Aufrufe, dieser Wirtschaftszweig solle sich an Maßnahmen zur Einsparung der Ressource Wasser beteiligen, und sei es nur mit dem Nicht-Befüllen von Pools, blieben unbeantwortet. Einnahmeverluste wollte niemand der Beteiligten riskieren.

Dieses Beispiel ist nur eines von vielen, wie sorglos bis vor wenigen Wochen mit der Ressource Wasser umgegangen wurde. Daneben gibt es eklatante Versäumnisse struktureller Art, ohne die die aktuelle Situation nicht zu erklären wäre. Dazu zählt auch das teilweise marode Leitungssystem Montevideos. Schätzungen gehen von etwa 50 Prozent Leitungsverlust aus. Ein Problem, dass jedoch vollkommen ignoriert wurde, da es, nach Angaben von FFOSE, der Gewerkschaft des nationalen Wasserversorgers OSE, aufgrund des Personalabbaus der letzten Jahre nicht mehr genügend Fachkräfte gebe, um das Netz in Stand zu halten. Ebenso fielen Pläne zur Errichtung neuer Rückhaltebecken, die von der Vorgängerregierung angestoßen wurden, den Einsparungen der Rechtskoalition bei öffentlicher Infrastruktur zum Opfer.

Nachdem gefürchtet werden musste, dass die Trinkwasserversorgung Montevideos kollabieren könnte, reagierte die Regierung auf die eingangs erwähnte Art und ließ Brachwasser einspeisen. Folgerichtig verdoppelte sie auch die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Salz und Chlor in der Wasserversorgung, ohne Berücksichtigung der gesundheitlichen Konsequenzen dieses Schrittes. Umweltminister Bouvier sprach zwar davon, dass das Wasser jetzt nach geltender Norm kein Trinkwasser mehr sei, aber weiterhin „trinkbares Wasser“.

Eine Auffassung, der schnell Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen widersprachen: Menschen, die unter Bluthochdruck leiden sowie Kleinkinder sollten das „trinkbare Wasser“ meiden, da dessen Konsum zu beträchtlichen gesundheitlichen Risiken führen würde. Eine Einschätzung, die später auch vom Gesundheitsministerium geteilt wurde, verbunden mit der Empfehlung, diese Menschen sollten künftig nur Mineralwasser trinken. Ein Vorschlag, der die soziale Realität vieler Menschen ignoriert, denen dazu die finanziellen Ressourcen fehlen. Dazu passte auch die, an Zynismus kaum zu überbietende, Aussage der Vize-Präsidentin von OSE, Susana Montaner, die angesichts der Kritik mutmaßte: „Es gibt viele Menschen, die aufhören können, eine Coca-Cola zu kaufen und stattdessen ein Wasser kaufen.“

Mittlerweile gibt es nicht nur Protestkundgebungen gegen die Entscheidungen der Regierung in der „Wasserkrise“, sondern auch ein juristisches Verfahren wegen des Vorwurfs der Gefährdung des Gesundheit der Bevölkerung. Darüber hinaus hat die Gewerkschaft FFOSE die nationale Universität dazu aufgefordert, die Wasserqualität Montevideos zu überwachen, da sie den offiziellen Messungen misstraut. Tatsächlich wurde in Stichproben bereits ein Salzgehalt nachgewiesen, der deutlich auch über den erhöhten Grenzwerten liegt. Auf die Kritik reagierend hat die Regierung zwar beschlossen, Krankenhäuser, Kindergärten und ärmere Familien mit Trinkwasser zu versorgen, wie und vor allem ab wann und in welchem Umfang dies umgesetzt werden soll, ist indes bislang ebenso unklar, wie die Zukunft der Versorgung der Bevölkerung im Allgemeinen.

Für Álvaro Delgado, rechte Hand des Präsidenten Lacalle Pou, bestehe die einzige Hoffnung darin, dass es irgendwann wieder regne. Der Präsident selbst nutzt hingegen die „Wasserkrise“, seine umstrittenen Pläne einer großen Entsalzungsanlage westlich von Montevideo als Zukunftsprojekt zu preisen, um einer Wiederholung der aktuellen Situation vorzubeugen. Im Rahmen einer sogenannter „Private Public Partnership“ mit dem israelischen Wasserversorger Mekorot will der uruguayische Staat dafür über eine halbe Milliarde Dollar investieren.

Dabei macht gerade die aktuelle Krise deutlich, wie unnötig dieses Projekt wäre. Trotz mangelnder Niederschläge besitzt Uruguay gigantische Süßwasser-Reserven. Sei es das Wasser aus dem Río Uruguay, einem kilometerbreiten Strom an der Grenze zu Argentinien oder die Laguna Merín, die sich das Land mit Brasilen teilt (und sieben Mal größer als der Bodensee ist). Ferner liegen einige Bezirke des Landes über dem Guaraní-Aquifer, einem der drei größten Süßwasser-Reservoire der Welt. Das Wasser von dort in die Hauptstadtregion zu pumpen, wäre zweifelsohne ökonomisch sinnvoller. Tatsächlich dürfte jetzt auch im großen Umfang Wasser des Río Uruguay nach Montevideo gebracht werden, jedoch nicht um das Gesundheitsrisiko der Bevölkerung zu reduzieren, sondern für den Betrieb der dortigen Raffinerie, deren Prozessanlagen durch den hohen Salzgehalt Schaden nehmen könnten.

Keine Rolle in den Plänen der Regierung spielt auch die Tatsache, dass laut uruguayischer Verfassung Wasser ein öffentliches Gut ist, und sich entsprechend privatwirtschaftliche Interessen bei dessen Nutzung den allgemeinen Interessen unterordnen zu haben. Auch das Mineralwasser, zu dessen Konsum jetzt aufgerufen wird, wird in Uruguay abgefüllt – allerdings von Privatfirmen, die sich in der aktuellen Situation berechtigte Hoffnungen auf (noch) lukrativere Geschäfte machen können. Die in Uruguay bekannteste Marke in diesem Bereich dürfte „Salus“ sein, die Quellwasser aus der Sierra de Minas für die Produktion von Mineralwasser, Softdrinks und Bier verwendet. Eigentümer der Firma sind der französische Lebensmittelkonzern Danone und der brasilianisch-belgische Branchenriese Ambev. Aber selbst in der aktuellen Krisensituation scheinen deren Geschäftsinteressen tabu zu sein, zumindest gab es noch keinerlei Initiativen, deren Produkte zeitweise zum Herstellungspreis auf den Markt zu bringen.

Die mangelnden Niederschläge der vergangenen Jahre waren der Auslöser, aber nicht die Ursache des Trinkwassermangels in Montevideo. Wie damit jetzt umgegangen wird, lässt nichts Gutes erahnen, sollten sich im Zuge des Klimawandels in Zukunft solche Szenarien wiederholen. Selbst in einem Land, das potenziell über nahezu unerschöpfliche Wasserressourcen verfügt und eines der weltweit progressivsten Gesetze zu deren Nutzung besitzt, wird im Zweifel die Gesundheit der Bevölkerung wieder auf der Strecke bleiben.