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Die Musik der Revolte kommt aus dem Exil

Wie Yotuel Romero mit seinem Hit „Patria y Vida“ Cubas Regierung hilflos dastehen ließ

Im Jahr 2021, als Cuba auf dem Höhepunkt der Pandemie einen der schlimmsten Momente seiner Geschichte erlebte, schlug der Song wie eine Bombe ein. „Patria y Vida“ (Vaterland und Leben) war die ironische Antwort auf den altbekannten Slogan der Revolution „Patria o Muerte“ (Vaterland oder Tod). Das Lied war ein Geniestreich, ging millionenfach viral und gewann schließlich den Grammy in den Kategorien „Lied des Jahres“ und „Bestes Lied/Urban Music“. Der Titel des Ohrwurms wurde zum Motto der Unruhen vom 11. Juli 2021 auf der Insel und nicht nur das. Die cubanische Opposition und das radikale Exil insgesamt versammelten sich hinter dieser Parole, die somit zur Herausbildung einer kollektiven Identität von Regierungsgegner*innen innerhalb und außerhalb der Insel beitrug. Aber die Rapper demontierten sich danach bald selbst.

Andreas Hesse

Spiritus rector hinter „Patria y Vida“ war Yotuel Romero. Der cubanische Musiker und Schauspieler begann seine Karriere Mitte der 90er-Jahre mit der Gruppe Amenazas und wurde wenig später zu einer zentralen Figur der Cubarapper Orishas, die Hiphop mit traditionellen Elementen des Son Cubano und verwandter Stile verbanden. Das 1999 erschienene Album „A lo cubano“ wurde ein internationaler Erfolg. Die Gruppe hatte einerseits bei bestimmten Texten Schwierigkeiten mit der Zensur, andererseits wurde sie hochoffiziell von Fidel Castro empfangen. Schließlich kam es zur Auswanderung der Band nach Europa, zunächst nach Frankreich, später verteilten sich die Bandmitglieder über verschiedene Länder. Yotuel lebt seit 2003 in Madrid. Soweit die Früh- und Vorgeschichte.

Mit „Patria y Vida“ kam er viele Jahre später gut herum und verkehrte in illustren Kreisen: eine Einladung der Konservativen im Europäischen Parlament, ein Empfang im spanischen Parlament, bei dem er kundtat, dass er erst in Spanien gelernt habe, was Meinungsfreiheit bedeute. Der spanische Publizist José Manzaneda merkte dazu süffisant an, dass dies in derselben Woche geschah, als der katalanische Rapper Elgio zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Ferner lief zu diesem Zeitpunkt der Protest gegen die Inhaftierung eines anderen Rappers, Pablo Hasél, dessen Freilassung von amnesty international und sogar vom Europarat gefordert wurde. Von einer Solidarisierung Yotuels mit den beiden spanischen Kollegen ist nichts bekannt.

Doch zurück zu „Patria y Vida“. Neben Yotuel wurden als weitere Protagonisten beim Zustandekommen des Erfolgssongs der schon länger nicht mehr auf der Insel lebende Descemer Bueno und das seinerzeit zwischen Havanna und Florida pendelnde Duo Gente de Zona bekannt. Diese Stars hatten sich allesamt ursprünglich noch positiv über ihre Herkunftsinsel und deren gesellschaftliches System geäußert. Bei Descemer Bueno änderte sich das infolge einer schweren Auseinandersetzung mit der cubanischen Bürokratie in einer Familienangelegenheit. Darüber hinaus sahen sich alle dem Druck des unermüdlichen rechtsextremen Influencers und Strippenziehers Alex Otaola ausgesetzt. Zumindest im Fall von Gente de Zona dürften die Meriten dafür, dass diese Musiker „gesinnungsgewandelt“ wurden, größtenteils auf Otaolas Konto gehen. Im wichtigen Markt Floridas und potenziell auch in den USA insgesamt hätten die Musiker andernfalls im Zuge einer der von diesem einflussreichen Scharfmacher initiierten Boykottkampagnen allesamt kein Bein mehr auf den Boden bekommen und keine Konzerte mehr geben können; ein Schicksal, das auch andere Künstler*innen bereits erdulden mussten. Alle sprachen sich schließlich explizit gegen das System auf der Insel aus und erhielten somit in Florida wieder freie Fahrt. Man dankte es gern per Mitwirkung am lukrativen „Patria y Vida“-Projekt. Ferner gab es als Gastmusiker noch Maykel „Osorbo“ Castillo. Er bezeichnete das Lied als „Kriegserklärung an Havanna“ und forderte offen eine militärische Intervention gegen Cuba. Zurzeit sitzt er eine Haftstrafe auf der Insel wegen Aufstachelung zum Aufruhr ab.

Last but not least noch sein Kollege Eliécer „el Funky“ Márquez, der heute in den USA lebt. Beide gehörten in Havanna seinerzeit zum oppositionellen San-Isidro-Künstlerkollektiv, das wiederum eng mit der dissidenten Zeitung El Estornudo zusammenhängt, die ihre Existenz US-Geldern vom halbstaatlichen NED (Nacional Endowment for Democracy) verdankt, das jegliche Form von Opposition gegen unliebsame (das heißt linksgerichtete, niemals rechtsgerichtete) Regierungen per Wühlarbeit unterstützt.

Dass zwischen den beteiligten Künstlern später in recht hässlicher Weise ein Streit um die Tantiemen von „Patria y Vida“ entbrannte, tat dem Erfolg des Projekts keinen Abbruch. „Keine Lügen mehr / Mein Volk verlangt Freiheit, keine Doktrinen mehr / Wir rufen nicht mehr ‚Vaterland oder Tod‘, sondern ‚Vaterland und Leben’“ („No más mentiras / Mi pueblo pide libertad, no más doctrinas / Ya no gritemos patria o muerte sino patria y vida“).

Selten hatte man die ohnehin inmitten schwerer Krise angeschlagene cubanische Regierung so vollkommen hilflos erlebt wie angesichts des Erfolgs des Protestsongs. Politik und Medien reagierten einerseits mit den üblichen Standardbeschimpfungen („Söldner”, „Ratten”, „Vaterlandsverräter” etc.), was bei den Adressaten bestenfalls hämisches Grinsen auslöste. Andererseits erklärte Präsident Díaz Canel, „Patria y Vida” sei ja immer schon das eigentliche Motto der cubanischen Revolution gewesen, nur so erkläre sich auch der leidenschaftliche und lebensrettende Kampf gegen die Pandemie. Die Vereinnahmung des Mottos gelang trotzdem nicht, dafür waren die Signale zu widersprüchlich. Auch der Versuch einer von Regierungsseite initiierten musikalischen Gegenoffensive misslang gründlich. Das Stück der cubanischen Künstler*innen Raúl Torres, Annie Garcés, Dayana Divo, Karla Monier und Yisi Calibre trägt den bemühten Titel „Patria o muerte por la vida” (Vaterland oder Tod für das Leben). Dieser sperrige Header steht sinnbildlich für die Konstruiertheit des schnell gestrickten Projekts samt seiner musikalischen wie inhaltlichen Belanglosigkeit. Das Internet reagierte überwiegend mit Spott. So plötzlich, wie der pathosgeschwängerte Song auftauchte, verschwand er auch wieder in der Bedeutungslosigkeit. Eine krachende Niederlage. Somit blieb es dabei, dass sich Yotuel und Kollegen mit ihrem Hit unauslöschlich ins kollektive cubanische Gedächtnis einbrannten, indem sie die Begleitmusik zur Revolte von 2021 lieferten.

Und Yotuel machte weiter, vom Erfolg inspiriert. Doch was dann kam, musste man sich genauer ansehen. „Lambo en Varadero” hieß sein nächster Song, diesmal ohne die „Patria y Vida”-Kollegen, stattdessen mit dem Reggaetonero Chris Tamayo sowie mit Emily Estefan, der Tochter des bekannten exilcubanischen Musikerpaares Gloria und Emilio Estefan. In „Patria y Vida” steht das Tourist*innenzentrum Varadero noch symbolhaft für die Ungerechtigkeit des Systems, weil die einen Varadero angeblich als Paradies verkaufen, während die anderen den Tod ihrer Kinder – wohl wegen Not und Mangel – betrauerten (nur am Rande angemerkt: Womit aber, wenn nicht mit Tourismuseinnahmen, soll eigentlich die Importrechnung für Lebensmittel und Medikamente bezahlt werden?). Interessant ist nun der wundersame Bedeutungswandel des Symbols Varadero, sobald das System einmal gestürzt ist. Bei „Lambo in Varadero“ steht selbiges nämlich nicht mehr für soziale Ungleichheit, sondern, wie von Geisterhand gezaubert, plötzlich für Freiheit, Wohlstand und die Verwirklichung protziger Männerphantasien. Der coole Macho braust also im Lamborghini durch Varadero, und alle seine Kumpels machen auch richtig Kohle. Denn, so Yotuel im Interview, wo auch immer ein solches Gefährt auftauche, stehe das für den derzeit „vom Regime vorenthaltenen Wohlstand“ und bedeute schließlich eine Aufwertung für den gesamten Stadtteil, in dem der Schlitten steht. Das scheint Yotuel ernst zu meinen. In Zeiten von Klimawandel und Klimaprotest sowie der Neubetrachtung von Geschlechterrollen bedient er archaische Männerträume aus den Hochzeiten der Konsumgesellschaft des letzten Jahrhunderts. Willkommen in der Vergangenheit. Ein Lamborghini bedeute ihm persönlich rein gar nichts, betont der Musiker im Interview. Warum propagiert er dann diese atavistischen Bilder, wohl wissend, dass diese beim Zielpublikum ein Eigenleben entwickeln werden? Ist das alles Zufall oder steht die cubanische Protestbewegung innerhalb und außerhalb der Insel insgesamt auf einem zivilisatorischen Stand von vorgestern?

Zur Erstveröffentlichung von „Lambo en Varadero“ äußerte Yotuel die Erwartungshaltung, dass auch dieser Song das Land erschüttern werde, „von Maisí bis zum Kap von San Antonio“. Immerhin war es diesmal eine Fehleinschätzung.

Nicht, dass es nicht noch schlimmer ginge. Im Sommer 2022 drehte der Reggaetonero Osmani García in Miami gleich zwei Musikvideos zu seinem Spottlied „Kknel“ (will sagen Kakanel) über den cubanischen Präsidenten Díaz Canel. Die Lyrics sind von erlesener Qualität: „Wir machen aus Fidels Grab ein öffentliches Pissoir und wischen uns den Arsch mit dem Gesicht von KaKanel.“ Dazu sieht man in einem der beiden Videos besagten Reggaetonero auf der Toilette mit Klopapier, darauf das Gesicht von Díaz Canel mit Hitlerfrisur und -bärtchen. Die Verharmlosung des Nationalsozialismus durch den willkürlichen Hitlervergleich ist das eine, die vorpubertäre Fäkalsprache voller analer Phantasien das andere Phänomen. Letzteres wäre zweifellos eine psychoanalytische Betrachtung wert. Nun verfügt García vielleicht nicht über dieselbe Reichweite wie Yotuel Romero. Doch auch hier stellt sich die Frage, inwieweit Garcías Elaborate exemplarisch für einen neuen geistigen Tiefpunkt der cubanischen Protestbewegung insgesamt stehen. Selbstkritik in den Reihen des Exils – oder zumindest in Bezug auf dessen dümmlichste kulturelle Manifestierungen – kann man mit der Lupe suchen. Kritiker*innen dieser Radikalisierungstendenz müssen heute wieder mit persönlichen Bedrohungen einschließlich Morddrohungen rechnen1, was manch eine(n) eine gewisse Zurückhaltung üben lässt. Außerdem ist zu befürchten, dass es ohnehin nicht mehr allzu viele Menschen gibt, die noch eine gesunde Distanz zu den besonders toxischen Strömungen in Miamis Kulturindustrie wahren.

Eine kritische Analyse des Phänomens Yotuel Romero und Kollegen sollte allerdings nicht dazu (ver)führen, Proteste auf der Insel ausschließlich auf die politischen oder gar musikalischen Einflussnahmen von außen zu reduzieren. Das wäre zu viel der Ehre und eine unzulässige Vereinfachung. Wie sich zuletzt in der Ortschaft Caimanera in der Provinz Guantánamo gezeigt hat, steigt die Wahrscheinlichkeit exponentiell, dass Menschen auf die Straße gehen, wenn die Verfügbarkeit bei drei und erst recht bei vier Basisbedürfnissen – Lebensmittel, Medikamente, Sprit und Strom – massiv eingeschränkt ist. Dies war nach einem havariebedingten großflächigen Stromausfall in besagter Provinz der Fall. Es bedurfte keines Yotuel Romero, damit die Leute öffentlich protestierten. Wird man im Laufe des Jahres spürbare Verbesserungen erzielen können? Die von den USA oktroyierte Blockade der Insel ist als Konstante gesetzt, die von der Bevölkerung sogenannte Selbstblockade – „autobloqueo“ – hingegen nicht. Dort gäbe es, der Überzeugung eines Großteils der Inselbewohner*innen zufolge, noch viele Stellschrauben.

  • 1. Und das auch im Ausland. Am 20. Mai berichtete die junge Welt, dass radikalisierte Rechte mit Gewalt Auftritte der cubanischen Gruppe Buena Fe in Europa zu verhindern versuchen: „Nach Drohungen gegen die Veranstalter mussten die vielfach prämierten Musiker ein für den 19.5. geplantes Konzert im spanischen Salamanca absagen. Auch am Vortag war ihr Auftritt im ,Avalón Café‘ der Stadt Zamora gestrichen worden. Hinter der Boykottkampagne steckt eine Contra-Gruppe, die sich ,Patria y Vida‘ nennt. Ihre Attacken auf Musiker und Konzertveranstalter wurden durch von der US-Regierung finanzierte Publikationen wie die in Madrid herausgegebene Onlinezeitung Diario de Cuba und das in Miami ansässige Portal ADN Cuba unterstützt.“