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Danke, Dieter!

Guatemala-Solidarität trauert um Dieter Müller

Fast 20 Jahre hatten wir im Bonner Oscar-Romero-Haus unsere Büros Tür an Tür, die ila und die Infostelle Guatemala. Oft haben wir zusammen diskutiert, Kaffee getrunken und gegessen. In der Infostelle Guatemala haben über die Jahre verschiedene Menschen gearbeitet. Einer war indes immer ehrenamtlich dabei: Dieter Müller. Meistens kam er am Wochenende, wenn er in der Infostelle organisatorische Arbeiten erledigte, auch mal in die ila, sei es nur, um Kaffee zu kochen oder kurz zu klönen. Als er im letzten Jahr die Leitung des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko übernahm, kamen wir wieder in Kontakt und wollten enger zusammenarbeiten. Nur wenige Tagen nach einer E-Mail von ihm wegen eines Artikels in der vorliegenden Ausgabe erhielten wir die Nachricht seines Todes. Im folgenden Text erinnern Compañeras und Compañeros aus der Guatemala-Solidarität an Dieter und sein lebenslanges Engagement.

Wir trauern um unseren Weggefährten und Freund Dieter Müller. Er ist am 12. August 2023 nach kurzer schwerer Krankheit in Mexiko-Stadt gestorben. Dieter war seit den frühen Achtzigern bis zu ihrer Auflösung 2002 Schatzmeister der Informationsstelle Guatemala, und blieb für immer ihr institutionelles Gedächtnis; er arbeitete von 1988 bis 2022 bei medico international und leitete seit einem Jahr das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko.

Wir kennen Dieter Müller seit Jahrzehnten aus der gemeinsamen Guatemala-Solidaritätsarbeit. Dieter gehörte zu den Gründern der Informationsstelle Guatemala in Bonn, die in den 80er- und 90er-Jahren die Unterstützung deutscher Solidaritätsgruppen für den Befreiungskampf in Guatemala koordinierte. Er war mit der breiteren Zentralamerika-Solidarität auch in Nicaragua und El Salvador vernetzt, aber seine Energie und Empathie galt lebenslang vor allem den sozialen Bewegungen in Guatemala. Übrigens war er schon lange Jahre geschätzter Guatemala-Experte, bevor er das Land zum ersten Mal bereiste. Während der schlimmsten Jahre der Repression in Guatemala baute er die Solidaritätsarbeit in Deutschland mit auf und wurde über mehrere Generationen hinweg zu einer ihrer wichtigsten Säulen. Er kannte die Kanäle zu den Exilvertretern der Guerillaorganisationen, die Kontaktleute der Solidaritätsgruppen im übrigen Europa, die lohnenden Ansprechpersonen im Bundestag - und er kannte das deutsche Vereinsrecht und die Grundlagen der Gewinn- und Verlustrechnung. Er war einer der wenigen Aktiven, die nicht nur über enzyklopädisches Wissen über alle historischen und aktuellen Details des guatemaltekischen Widerstands und der sozialen Bewegungen verfügten, sondern auch über betriebswirtschaftliche Grundkompetenzen, die überhaupt erst ermöglichten, die politische Solidarität in Geldflüsse zu übersetzen. Nicht wenige von uns, die später in der professionellen Entwicklungszusammenarbeit tätig wurden, haben mit und dank Dieter den ersten Projektantrag ihres Lebens geschrieben und abgerechnet.

Er hat sein Wissen immer ganz selbstverständlich geteilt. Hierarchische Gesten oder Denke waren ihm fremd, Rechthaberei oder Dogmatismus gab es bei ihm nicht. Dieter war kein Wortführer, eher eine ruhige Autorität, ohne deren letztliche Zustimmung niemand loslegen wollte. Bei Sitzungen war er oft derjenige, der stand – das war gut für den Überblick und manches Mal für ein zügiges Aufbrechen. Denn Dieter war immer auf dem Sprung. Von der ehrenamtlichen Schatzmeisterfunktion für die Informationsstelle Guatemala in Bonn zum Job in Frankfurt bei medico international, von Abendsitzungen und Veranstaltungen zur Familie, von internationalen Dienstreisen zu deutschen Bundestreffen.

Dieter stand für Kontinuität und gleichzeitig für Erneuerung und ständiges, gemeinsames Weiterlernen. So hat die Guatemala-Solidarität Schritt für Schritt ihren Fokus vom bewaffneten Kampf auf die Unterstützung der sozialen Bewegungen in Guatemala verschoben, und parallel zu den Friedensverhandlungen wurde auch mit seiner Hilfe das deutsche Freiwilligenprogramm CAREA zur Begleitung der Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen aufgebaut. Das hat die Finanzierungs- und Arbeitslogik der Informationsstelle Guatemala grundlegend geändert und bis heute zukunftsfähig gemacht, auch wenn die Informationsstelle als solche nicht mehr existiert.

Dieter war ein Solidaritätsarbeiter im besten Sinne des Wortes. Getragen von seiner internationalistischen Grundhaltung und einer selbstverständlichen Option für die Armen surfte er sein ganzes erwachsenes Leben lang auf der Kante seiner physischen Kräfte. Wir sind sehr traurig, dass er so früh gehen musste, und werden unseren Freund und Ratgeber sehr vermissen.

Seiner Frau Carmen und seinen Kindern Chantal und Aljoscha sprechen wir unser tiefes Beileid aus.

Compañeras und Compañeros der Infostelle Guatemala und der Guatemala-Solidarität