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„Ich aus dem enthaupteten Land“

Besprechung des Gedichtbandes „República del excremento“ von der salvadorianischen Autorin Miroslava Rosales
Esther Andradi

Einfach ist er nicht, dieser Gedichtband. Er steckt voller Disteln und Messer. Aus ihm fließt Eiter und Blut. Nichts heilt oder gibt Hoffnung, alles reißt wieder auf, lädt zum Schreien und Weinen ein. Miroslava Rosales hat eine Sammlung über ein enthauptetes Land geschrieben. Die Autorin ist 1985 in El Salvador geboren. Mittlerweile lebt sie in Wuppertal, wo sie mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in romanischen Literaturwissenschaften promoviert. Gleichzeitig ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für historische, anthropologische und archäologische Studien der Universität von El Salvador. Sie hat an internationalen Poesie-Festivals in Mexiko, El Salvador und Nicaragua teilgenommen und ist Mitherausgeberin eines Buches über kulturelle Repräsentationen der Migration aus Zentralamerika im 21. Jahrhundert.

In Berlin stellte sie zuletzt ihre Gedichtsammlung ,,República del excremento“ vor. Es ist eine zweisprachige Ausgabe auf Spanisch und Italienisch, die 2022 im Verlag Formarti veröffentlicht wurde. Der Verlag wird unter anderem von Taina Pleitez Vela geleitet, die auch Dichterin und auch Salvadorianerin ist. Ebenfalls aus El Salvador stammt Rocío Bolaños, die das Werk auf Italienisch übersetzt hat. Miroslava Rosales erzählt, dass der Band unterwegs entstanden ist, auf ihrem neun Jahre langen Weg durch El Salvador, Mexiko und Deutschland, das Ergebnis diasporischer Netzwerke.

Es ist ein Buch über ein enthauptetes Land, ein entführtes, ein gefangenes, ein Land der Löwen und Krokodile, der Schlangen und Ratten, ein Land voll Verwesung und Scheiße. Hier gehört der Tod nicht einfach zum Kreislauf des Lebens. Er ist eine Bestie voller Hass. Mord ist die einzige Stimme, der einzige Schrei einer Sprache ohne Worte, die jedes Denken und Lieben unmöglich macht.

Es beginnt mit einem Zitat von Vladimir Majakowski:

„in diesem Leben/ ist es einfach zu sterben/ zu leben/ ist viel schwieriger“

Immer wieder bestätigt die Dichterin diese Aussage. Das Leben als kreativer Akt gilt als Subversion und muss vernichtet werden. Wie eine Plage, wie ein monströses Virus, ein gieriges Virus, das bei all seinen Opfern nicht bemerkt, wie es sich selbst verschlingt.

Egal.

Alles ist egal. Das Einzige, was zählt in diesem verstümmelten Land, ist unendliche Macht. Es zählt der Geruch nach Tod in den Straßen, die umherrollenden Köpfe, Arme und Hände, die anklagend aus der Erde hinausragen, verwesende Körper in den Flüssen und auf der Straße verrottende Leichen.

Nein, einfach macht uns Miroslava Rosales den Einstieg in diesen Alptraum nicht. Er fängt uns ein und klebt sich an uns wie eine Klette. Er frisst sich ins gequälte Herz, nistet sich in unseren Gedanken ein wie eine Katze in einem gemütlichen Schoß. Das passiert ab der ersten Zeile von ,,República de excremento“:

„Ich aus dem enthaupteten Land“

schreit diese kollektive Stimme, in vielen Momenten eng mit der wiederholten Aussage aus “Cadáveres“ von Néstor Perlonguer (Argentinien 1949, Brasilien 1992) verwoben. Unverkennbar verweist sie auf Bilder des Poeten Pier Paolo Pasolini. Dieser Alptraum, den die Dichterin uns erzählt, bleibt bei uns. Er legt sich mit uns schlafen, wacht neben uns auf, weint mit uns und fragt sich genau wie wir nach der letzten Zeile

„der/ Frieden/ ein/ Splitter/ im/ Orkan“:

Und was ist nun eine Republik? Die Republik nach Platon, die die Existenz einer Elite rechtfertigen wollte, die von Hungernden und Bedürftigen getragen und ernährt wurde? Oder die spanische Republik, deren Existenz so fragil wie visionär war? Oder die Weimarer Republik, die 1919 die Monarchie abschaffte, um einige Jahre später in den Armen der Nazis zu sterben? Ist es die Italienische Sozialrepublik im Norden Italiens, 1944-45, mitten während der Besetzung durch die Nationalsozialisten, unsterblich gemacht durch die verbotenen posthum veröffentlichten Werke von Pier Paolo Pasolini? Oder ist es die „Bananenrepublik“, die der betrunkene und erleuchtete O. Henry in Anchuria ansiedelte?

„Mein Land/ unser Land/ Warum haben deine Kinder dich mit dieser Machete enthauptet”

Diese Frage, das Warum, lodert wie die Lava eines ausbrechenden Vulkans in allen sechs Teilen des Buches:

Republik des Exkrements

die Ballerinas des Eiters

Friedhof der Engel

Mütter

der Überfahrene

die Nacht

Und trotzdem gibt es Hoffnung: die Hoffnung der Karawanen. Manchmal blühen Blumen auf, die ersehnten Sonnenblumen, und Disteln werden zart.

Aller Mond, alle Jahre, alle Tage, aller Wind

laufen und gehen wieder vorbei.

Alles Blut gelangt an den Ort seiner Stille

so wie es das weise Buch Chilam-Balam1 will am ENDE DER ZEITEN.

  • 1. Die Chilam-Bücher sind auf Mayathan verfasste Schriften, die Aufschluss über Maya-Traditionen und die koloniale Gesellschaft auf der Halbinsel Yucatán (heute Südmexiko) geben.

Übersetzung: Lorena Orbach