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Sind sie noch zu retten?

Die EU will noch im Juli ein Freihandelsabkommen mit sechs Ländern Zentralamerikas auf den Weg bringen

Alles übertrieben, unnütze Aufregung, winken EU-Unterhändler ab. Als wolle die EU Zentralamerika ausquetschen! Ist doch Unsinn. Es geht um gute Beziehungen zu einer Region, in der in sechs Ländern gerade einmal 35 Millionen EinwohnerInnen leben – wir dagegen sind rund 500 Millionen in 27 Ländern. Nur 0,3 Prozent unserer Importe kommen aus Zentralamerika. Und wir exportieren nicht mehr als 0,35 Prozent unserer Gesamtausfuhr in diese Region, Tendenz fallend. Kaum mehr als nichts! Ohne die Bananen aus Costa Rica, woher zwei Drittel der Gesamtimporte aus Zentralamerika stammen, wären es noch weniger. Ausbaufähig ist der Markt auf absehbare Zeit kaum. Die Region ist zu arm. Damit wäre das vorgesehene Assoziationsabkommen EU-Zentralamerika nicht mehr als eine politische Geste. Doch sein Herzstück ist ausgerechnet ein Freihandelsabkommen. Und das soll möglichst noch diesen Sommer stehen.

Gaby Küppers

Die Marschroute für die EU-Verhandlungen mit Zentralamerika liegt seit dem Zweiten EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid 2002 fest. Damals tauchte das Wort Freihandelsabkommen erstmals unumwunden und trotz der Skepsis auf, die in Lateinamerika angesichts des US-Vorhabens einer Gesamtamerikanischen Freihandelszone FTAA (spanisch ALCA) allenthalben herrschte und 2005 letztendlich zu deren Scheitern führte. 2006 beschloss der Wiener EU-Lateinamerika-Gipfel offiziell die Aufnahme von Verhandlungen, 2007 buchstabierte die EU-Kommission die Inhalte des vorgesehenen Abkommens durch. Um Handel mit Waren geht es im Grunde nur unter anderem. Wichtiger ist „die Eingliederung Zentralamerikas in den Weltmarkt“ (hmm, das wollte schon Kolumbus). Jenseits von Handelsfragen geht es um ein Panoptikum von Themen, die von der Zusammenarbeit im Kampf gegen Massenvernichtungswaffen und Terrorismus bis zur nachhaltigen Entwicklung reichen. Heikel nicht erst seit der sogenannten „Rückführungsrichtlinie“ ist etwa die Kooperation zur Wiederaufnahme papierloser MigrantInnen. Konkret: Werden zentralamerikanische MigrantInnen nach Zentralamerika zurückgeflogen, ist dasjenige Land, wo sie zuerst landen, für deren weiteren Verbleib verantwortlich. Allein dieser Aspekt müsste jeden Vertragsabschluss unmöglich machen. Müsste.

Zurück zum Warenhandel: Zollsenkungen als Mittel zur Ankurbelung von Handel spielen weltweit eine immer geringere Rolle. Im Mittel liegen Zollsätze ohnehin schon sehr niedrig und tendieren vielfach gegen Null. Zudem wird das Handelsvolumen auf absehbare Zeit kaum steigen. Die EU wird zweifellos nicht immer noch mehr Bananen, Zucker und Kaffee importieren. Umgekehrt können auch ZentralamerikanerInnen nicht immer mehr Maschinen und Medikamente aus Europa kaufen, jedenfalls nicht bei einem Bruttoinlandprodukt zwischen unter 1000 Dollar pro Kopf im Falle Nicaraguas bis 4500 Dollar bei Costa Rica. Um den schwachen Markt dennoch maximal ausschöpfen zu können, drang die EU von Anfang an auf eine Zollunion in der ganzen Region. EU-Waren und Dienstleistungen sollen ohne Formalitäten wie Zölle oder Gesundheits- und technische Vorschriften grenzüberschreitend von Guatemala bis Costa Rica vertrieben werden dürfen. Deswegen verlangt die EU gar Änderungen in Landesgesetzen. Diese sehr spezifische Form der Unterstützung „regionaler Integration“ verbitten sich bislang noch einige Regierungen. Bei den bestehenden Produktivitätsunterschieden würden ganze einheimische Branchen und bäuerliche Sektoren von billigeren Produzenten aus Nachbarländern weggeschwemmt, ohne Aussicht auf alternative Arbeitsplätze.

Wichtiger als der Warenhandel sind Dienstleistungen, Investitionen und intellektuelles Eigentum. Die EU will noch besseren Marktzugang bei Telekommunikation und Transport, also Häfen, Flughäfen, Fluglinien und Abfertigung. Öffentliche Ausschreibungen sollen grundsätzlich offen sein, vom Straßenbau bis zum Schulstuhl. Nicht offen sein soll Zentralamerika dagegen bei intellektuellem Eigentum. Neben Patenten geht es der EU vor allem auch um den Schutz von GIs, geographischen Bezeichnungen wie Cognac und Parmaschinken.

Nun sollte man meinen, dass die aktuelle Finanzkrise einen Umdenkungsprozess eingeleitet hat und Prinzipien wie Stabilisierung, Kontrolle und Regulierung Vorrang vor dem Wegreißen aller Regeln erhalten. Weit gefehlt. Nehmen wir die Liberalisierung von Finanzdienstleistungen. Denkt die EU-Kommission heute um? Wieso sollte sie? Die Aushandlung solider, „nicht diskriminierender“ Rahmenbedingungen bei den Finanzdienstleistungen im Assoziationsabkommen der EU mit Zentralamerika würden zentralamerikanischen KonsumentInnen mehr Wettbewerb und damit Wahlalternativen für Kredite und Spareinlagen bescheren, meinte Rupert Schlegelmilch, Chefunterhändler der Handelsdirektion der EU-Kommission, im Mai dieses Jahres in einem Antwortschreiben an besorgte Nichtregierungs- organisationen. Und weiter: Die demnächst endlich ungehindert operierenden ausländischen Banken brächten der Region einen beachtlichen Vorteil. Falls es in Folge von Kreditverknappung in Honduras oder Guatemala klamm für einen kleinen Sparer wird, könnten diese Geldhäuser – anders als die inländischen – sich von ihren Mutterbanken Geld überweisen lassen. Allein die Vorstellung! Da brechen Banken weltweit zusammen und die Deutsche Bank hilft erst einmal ihrer Filiale in Tegucigalpa aus der Klemme! So etwas muss man glauben oder auch einfach nur verkaufen können. 

Wahrscheinlicher ist eine andere Situation. Unter der Überschrift „Zahlungs- und Kapitalverkehr“ fordert das EU-Mandat vollständige Liberalisierung. Das könnte beispielsweise das Umgekehrte von dem bedeuten, was Schlegelmilch anführte: Bei Kreditschwierigkeiten einer internationalen Bank, von denen es derzeit bekanntlich nicht wenige gibt, wird nicht Geld in die Region zugeschossen, sondern alles noch Verbleibende anderswohin abgezogen. Oder es werden unbehelligt weitere abenteuerliche Finanzprodukte erfunden und in Steueroasen wie Costa Rica platziert. Denn eine sogenannte „Standstill“-Klausel im Abkommen macht den Einzug von Schutzbestimmungen (also mehr Regeln als zuvor) so gut wie unmöglich. Die Entwicklung einer funktionierenden Finanzaufsicht, gerade in Ländern des Südens, ist mit der Klausel im Keim erstickt. 

In besagtem Mandat steht noch vieles mehr. Etwa auch, dass vor Unterschriftsreife unter dem Abkommmen eine Studie über die möglichen Auswirkungen des Abkommens auf die Nachhaltigkeit (SIA – Sustainability Impact Assessment) abgeschlossen sein soll. Nun liegt ein Zwischenbericht vor. NRO von Friends of the Earth bis Oxfam beschwerten sich im Juni 2009 bei der zuständigen Handelskommissarin Catherine Ashton, die globale Wirtschaftskrise bliebe im SIA komplett ausgeblendet. Der absehbaren Entwaldung und Bodenbelastung würde nicht genügend Beachtung geschenkt. Eine geschlechtsspezifische Betrachtungsweise fehle. Die Gewinnrechnung sei simplifiziert und nicht länderspezifisch, der große Gewinner sei die EU mit zwei Milliarden Euro Mehreinnahmen, Zentralamerika stehe ein weiterer ökonomischer Konzentrationsprozess bevor – aber was folge daraus? 

Zudem, monieren die NRO, rühme sich die EU-Kommission zwar, die so genannte Zivilgesellschaft zu ihrer Meinung zu Verhandlungen und SIA zu konsultieren, lade dann aber etwas kurzfristig zum Montag nach den Osterferien 2009 nach Managua und stelle den kompletten SIA-Text nur in der englischen Verhandlungssprache zur Verfügung, welche bekanntlich in keiner der sechs Länder Zentralamerikas Landessprache ist.

Aller Kritik ungeachtet bereitet die EU-Kommission sich auf die achte Verhandlungsrunde vom 6. bis 10. Juli in Brüssel vor. „Die EU-Kommission will dort unbedingt Nägel mit Köpfen machen“, sagt Carolina Herrera. „,Ehrgeizige Ergebnisse' ist weiterhin ihr Lieblingswort“. Die zentralamerikanische Aktivistin ist zu einer Vorverhandlungsrunde nach Brüssel gekommen. „Die Kommission macht verdächtig auffällig schönes Wetter: ein Abschluss schon im Juli sei möglich.“ Den „Spielverderber“ Nicaragua, der mitten in der siebten Runde in Tegucigalpa am 1. April den Verhandlungstisch verließ, weil die EU sich weigerte, einen umfangreichen Hilfsfonds für die Region einzurichten, glaubt die Kommission zurück in der Spur. KritikerInnen des Abkommens waren erleichtert und sahen die Fondsfrage als Spitze eines Eisbergs von ungelösten Problemen. Die EU-Kommission solle eine Atempause einlegen und die Chance zum Umdenken nutzen; CAFTA+ (siehe unten) und WTO+ (mehr als die Welthandelsorganisation vorschreibt) seien keine erstrebenswerten Ziele für Zentralamerika, schrieben europäische NRO an die Verhandlungsführer. Indessen trat die honduranische Vizeaußenministerin Patricia Licona am 12. Juni vor die Mikrofone, um in die gleiche Kerbe wie Nicaragua zu hauen: keine Unterschrift unter ein Abkommen, wenn nicht zuvor ein strukturierter Fonds beschlossen ist.

Karina Sosa, neugewählte FMLN-Abgeordnete in El Salvador, ist ebenfalls bei der Vorrunde in Brüssel. Die neue salvadorianische Regierung will sich dem Druck aufs Tempo nicht beugen: „Die zehn Prozent nicht ausgehandelter Themen können noch erheblichen Sprengstoff bergen. Das Thema Indígenas etwa kam bislang noch gar nicht vor“, sagt Karina Sosa. Auch dass die EU mindestens die gleichen Konditionen haben will wie CAFTA, das Freihandelsabkommen Zentralamerika-USA, lehnt sie ab. Seit dem Inkrafttreten von CAFTA im Jahr 2005 hat sich der Handelsbilanzüberschuss Zentralamerikas von einer Mrd. US-Dollar in ein Defizit von sechs Mrd. US-Dollar verwandelt. Ein – wohl der einzige – Joker in der Hand der ZentralamerikanerInnen im CAFTA-Vergleich sind dabei Bananen. In die USA gelangen zentralamerikanische Bananen zollfrei, in die EU nicht.

Ein Abkommen ist mehr als eine Summe von Bestimmungen, denn es geht dabei um die Setzung eines verbindlichen Regelwerks. Zentral darin: Wenn eine der beiden Seiten künftig die Handelsgesetzgebung verändern will, müssen erst die „Stakeholders“ (Interessenvertreter) konsultiert werden. Zum Beispiel: Sollte es Honduras einfallen, bei öffentlichen Aufträgen lokale, ökologisch produzierende Kleinunternehmer zu bevorzugen, werden sich europäische Großproduzenten einschalten und die Kommission auffordern, dagegen einzuschreiten und ein solches Vorhaben zu Fall zu bringen. Wenn möglich soll Zentralamerika bei Streitfällen kollektiv zur Verantwortung gezogen werden. Diese Zwangsjacke sollte sich Zentralamerika nicht anziehen, sagt Carolina Herrera.

Die Regierung Costa Ricas gibt anders als die EU-Kommission recht interessante Informationen zu den Verhandlungen heraus: www.aacue.go.cr/