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Die etwas anderen Christdemokraten

Ein Gespräch mit Gerardo Rolón Pose, der bis zum Putsch Wohnungsbauminister der Regierung Lugo war

In den sechziger Jahren gründeten sich in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten Christdemokratische Parteien (PDC). Sie vertraten meist eine gemäßigte soziale Reformpolitik und präsentierten sich als Alternative zur traditionellen Rechten und zur sozialistischen Linken. Wenn es allerdings zu politischen Zuspitzungen kam, schlugen sie sich meist auf die Seite der Rechten.

Gert Eisenbürger
Gaby Küppers

So beteiligte sich der rechte Flügel der PDC Chiles um Patricio Aylwin 1972/73 aktiv an der Destabilisierungspolitik gegen die Regierung Salvador Allendes. In den achtziger Jahren lieferten die Christdemokraten José Napoleón Duarte in El Salvador und Vinicio Cerezo in Guatemala sogar die zivile Fassade für staatsterroristische Aufstandsbekämpfungsregime. Es gab aber immer auch ChristdemokratInnen, die ihren sozialen Anspruch ernst nahmen und mit der Linken Widerstand gegen Diktaturen und neoliberale Politik leisteten, wie die kleinen Christdemokratischen Parteien Paraguays und Uruguays – auch wenn sie dabei nicht auf die Unterstützung ihrer Schwesterparteien in Europa zählen konnten. Als sich in Paraguay 2008 hinter Fernando Lugo eine breite Mitte-links-Allianz formierte, war die dortige PDC dabei. Damit Lugo die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur erfüllte, nomnierte ihn die Partei als ihren Präsidentschaftskandidaten. Im Vorfeld der Wahlen vom 21. April hatten Gert Eisenbürger und Gaby Küppers Gelegenheit zu einem Gespräch mit Gerardo Rolón Pose, der bis zum Putsch Wohnungsbauminister der Regierung Lugo war und im PDC-Vorstand für internationale Beziehungen zuständig ist.

Fernando Lugo wurde als Kandidat der PDC zum Präsidenten gewählt. Wie sahen Sie seinen Sturz im vergangenen Jahr?

Die Christdemokratische Partei (PDC) Paraguays stand in ihrer inzwischen fünfzigjährigen Geschichte stets an der Seite der Volkskräfte, die für die Schaffung einer sozialen und demokratischen Gesellschaft eintreten. Wir sahen Fernando Lugo als Ikone im Kontext dieser Kämpfe. Das Auftreten einer charismatischen Persönlichkeit wie die seine in diesem Prozess eröffnete neue Möglichkeiten in diesem politischen Kampf. Deswegen unterstützten wir von Anfang an seine Kandidatur im Rahmen der „Allianz für den Wechsel“. Mit ihm zusammen leiteten wir in der Regierung einen Prozess des schrittweisen sozialen Wandels zur Beseitigung der Armut in Paraguay ein. Obwohl wir dabei keineswegs überstürzt vorgingen, sahen wir uns von Anfang an einer massiven Opposition der konservativen und rechten Kräfte ausgesetzt. Sie wollten diese Reformen des paraguayischen Staates, diesen Kampf gegen die Armut zum Scheitern bringen, denn sie hätten zu einem erneuten Wahlerfolg 2013 geführt.
Ein zweiter Grund waren die Landkämpfe. Hier in Paraguay ist „Privatbesitz“ sozusagen ein heiliges Wort für die genannten Sektoren. Unter Lugo wurde begonnen, in der Zeit der Diktatur zu Unrecht angeeignete Ländereien zu regularisieren. Das provozierte den Sturz unserer Regierung. Die Colorados und die Liberalen, zwei konservative, ja sogar rechte Gruppierungen waren die Protagonisten dieses Sturzes, der einen erneuten Sieg der Progressiven verhindern sollte. Für uns ist das ein sehr schwerwiegender Vorfall, der einen Bruch im Übergansprozess Paraguays hin zu einer Demokratie markiert. Die Herausforderung am 21. April ist, diesen Raum zurückzuerobern.

In Deutschland wird die Christdemokratie von der CDU vertreten. Sie sah, wie die meisten europäischen Christdemokraten, die Absetzung Lugos als legalen parlamentarischen Vorgang. Wie erklären Sie sich diese unterschiedliche Sichtweise?

Die christlich-soziale Bewegung ist weltweit sehr unterschiedlich aufgestellt. Hier in Lateinamerika sind die chilenische, uruguayische oder paraguayische Christdemokratie eher progressiv und als Mitte-links einzuordnen. Wir haben so gut wie keine Beziehungen mit solchen Sektoren der Christdemokratie wie etwa in Europa, die Positionen Mitte-rechts oder rechts einnehmen, womit wir nicht einverstanden sind. Auch wenn wir Mitglied der Christdemokratischen Internationalen sind, sind wir die progressive Stimme innerhalb dieser Gemeinschaft.
Die Vision der deutschen Regierung teilen wir nicht. Und noch viel weniger die der KollegInnen in der CDU. Vielleicht haben sie keine klare Vorstellung davon, dass dieser Putsch von den rückwärtsgewandtesten Sektoren der paraguayischen Politik vorbereitet wurde und dass er darauf ausgerichtet war, die Volksbewegung zu stoppen und deren soziale Forderungen abzubügeln, und das in einem Land, in dem 40 Prozent der Bevölkerung arm sind.
Die PDC Paraguays hat sich historisch gesehen immer für den gewaltfreien sozialen Wandel eingesetzt, hat frontal gegen die Diktatur und für die Wahrung der Menschrechte und bürgerlichen Freiheiten gekämpft. In dem von Lugo begonnenen Prozess sahen wir den Versuch, die seit langem vorgebrachten sozialen Forderungen umzusetzen.

Hat die deutsche CDU ihre paraguayische Schwesterpartei konsultiert, bevor sie zu ihrem Urteil kam?

Nein, überhaupt nicht. Andererseits hat die Organisation lateinamerikanischer ChristdemokratInnen sehr wohl ein Kommuniqué herausgegeben, in dem sie den parlamentarischen Putsch hart kritisiert und der De Facto-Regierung von Federico Franco für die Wahlen am 21. April Wahlen Bedingungen stellt, nämlich dass es im Vorfeld Chancengleichheit für alle KandidatInnen geben muss, um die Demokratie wiederherzustellen.

Was sind die Ursprünge der christdemokratischen Partei in Paraguay? Und wie versteht sie sich heute?

Die PDC Paraguays ist wie verschiedene andere gleichgesinnte regionale Formationen entstanden mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der christlich-sozialen Doktrin der katholischen Kirche sowie später der evangelischen Kirchen. Sie forderten die Laien auf, sich in irdische Angelegenheiten einzumischen und nicht nur in die geistlichen. Somit bildete sich in den 60er-Jahren die sozialchristliche Bewegung und später Christdemokratische Partei mit einer breiten Basis von ArbeiterInnen, Bauern, Bäuerinnen und städtischen Intellektuellen. Sie wurde von der Diktatur verboten und nie anerkannt, weil sie von ihr als Gefahr angesehen wurde. Unsere Mitglieder wurden grausam verfolgt, gefoltert und ins Exil getrieben. Und viele wurden auch umgebracht.

Historisch hat unsere Partei immer eine progressive Haltung eingenommen. In den aktuellen Prozess, der zur Wahl Lugos geführt hat, sind wir mit der christlich-sozialen Bewegung seit zehn Jahren eingebunden und waren Teil der Regierung.

Eine letzte Frage: Wie positionieren Sie sich im Hinblick auf die Wahlen am 21. April?

Wir wir sind Teil der Allianz Avanza País und unterstützen die Kandidatur Mario Ferreiras, der auf die Stimmen eines breiten Fächers progressiver Sektoren im Mitte-links-Spektrum setzen kann. Er ist beliebt, er setzt sich für die Ärmsten ein und ist im Moment aus unserer Sicht die einzige Option, mit der es möglich ist, das System zu verhindern, das die Colorados und die Liberalen installieren wollen. Diese vertreten die konservativen Interessen der Großgrundbesitzer, großen Agrarproduzenten und transnationalen Unternehmen, die seit den letzten neun Monaten, in der die De Facto-Regierung an der Macht ist, einen Blankoscheck haben. Genmais und Gensoja wurden zugelassen und andere Maßnahmen durchgesetzt, die direkt die Umwelt und die nationalen Interessen beeinträchtigen.

Das Gespräch fand im April 2013 in Asunción statt.