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Die Gewalt geht von der Regierung aus

El Salvador: Interview mit der Menschenrechtsverteidigerin Zaira Navas

El Salvadors Präsident Bukeles Strategie gegen Gewalt lautet: mehr Gewalt, Repression, Wegsperren. Lena Voigtländer sprach mit Zaira Navas, Leiterin der Abteilung Recht und Sicherheit bei der NRO Cristosal, über die Folgen des Ausnahmezustands in El Salvador, der mittlerweile zum 19. Mal verlängert wurde.

Lena Voigtländer

Präsident Bukele ist 2019 mit dem Versprechen angetreten, die Gewalt, vor allem die, die von den als Pandillas bezeichneten Jugendbanden ausgeht, zu beenden. Dann hat er einen Ausnahmezustand verhängt, der bis heute andauert und ihn mit genau der Gewalt begründet, die er versprochen hatte zu beenden. Wie passt dies zusammen?

Bukele verkündete, die Gewalt innerhalb eines Monats zu beenden. Aber tatsächlich hat er mit den kriminellen Strukturen verhandelt.1 Aus journalistischen Untersuchungen, die vom US-Außenministerium dokumentiert wurden, geht hervor, dass er die Bandenmitglieder bezahlte, ihnen aber auch im Gefängnis Vorteile gewährte. Die Verhandlungen von Bukele mit diesen Banden führten zu einem Rückgang der Morde. Als er an die Regierung kam, waren es etwa zehn Morde pro Tag, im nächsten Monat vier, dann drei, und so blieb es ein Jahr lang. Die Banden haben offenbar Druck auf Bukele ausgeübt, um ihre Forderungen erfüllt zu bekommen, denn im Mai 2021 stieg die Zahl der Morde wieder an. Die Nichterfüllung der Forderungen hatte mehr Gewalt zur Folge. So ging es weiter, bis die Pandillas im März 2022 87 Morde in drei Tagen verübten.

Bukele nutzte diese Situation, um das Parlament zu bitten, den Ausnahmezustand zu verhängen. Dies ist nach der Verfassung zulässig, allerdings nur für 30 Tage und kann um weitere 30 Tage verlängert werden. Durch den Ausnahmezustand werden die Rechte der Verhafteten sowie das Versammlungs- und Vereinigungsrecht stark eingeschränkt. Das heißt, dass es keine Demonstrationen, Kundgebungen und so weiter geben kann. So kann Bukele seine „Effizienz“ bei der Verbrechensbekämpfung demonstrieren.

Er hat eine umfangreiche Werbekampagne gestartet, die mit staatlichen Mitteln finanziert wird. Bukele stellt sich in den Medien, in Interviews in der ganzen Welt und durch von ihm engagierte internationale Influencer*innen als jemand dar, dem es gelungen ist, ein Problem zu lösen, das sonst niemand lösen konnte.

Hat er das Problem damit gelöst?

Die Zahl der Morde ist zwar zurückgegangen, aber der Preis dafür sind mehr als 71 000 verhaftete Personen, von denen keine bisher vor Gericht gestellt wurde. Schätzungen zufolge sind höchstens 30 Prozent der Verhafteten Bandenmitglieder, der Rest sind Unschuldige. Die Gewalt wird nun von Bukele und seiner Regierung gegen die salvadorianische Bevölkerung ausgeübt. Sie nutzen dieses Ausnahmeregime auch, um politische Gegner*innen und Gemeinderäte zu verfolgen, um Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Und um Menschen anzugreifen, die gegen wirtschaftliche, soziale, ökologische und andere Probleme protestieren. Zwar hat Bukele auch seine anderen Regierungsversprechen, wie Krankenhäuser zu bauen und das Bildungswesen zu verbessern, nicht erfüllt, aber seine Propaganda ist so stark, dass sie ein Gefühl der Sicherheit erzeugt. Die Menschen glauben, dass sie sicher sind. In Wirklichkeit laufen wir alle Gefahr, unter dem Ausnahmeregime inhaftiert zu werden.

Die Strategie gegen Gewalt lautet also: mehr Gewalt?

Die Strategie von Bukele gegen die Kriminalität erzeugt Gewalt gegen die gesamte salvadorianische Bevölkerung. Aber nicht die ganze Bevölkerung ist gleichermaßen von den willkürlichen Verhaftungen betroffen. Vor allem die Ärmsten werden weggesperrt. Die Gewalt übt der Staat gegen die Armen aus. Die anderen Teile der Gesellschaft wollen einfach nicht sehen, was passiert.

Diese Strategie der Einschüchterung, der Gewalt und des Terrors dient dazu, ihn populär zu machen und jede*n politische*n Gegner*in oder jede zivilgesellschaftliche Organisation in Angst und Schrecken zu versetzen. Er plant, 2024 erneut zum Präsidenten gewählt zu werden, obwohl die Verfassung dies verbietet. Wer stellt sich ihm in den Weg? Wer wird protestieren - wenn man jederzeit unter dem Ausnahmeregime inhaftiert werden kann?

Du sprichst von „bestrafendem Populismus“ (populismo punitivo), eine Strategie, Angst zu verbreiten und als Sicherheit zu verkaufen. Kannst du das erklären?

Bukele ist ein autoritärer Präsident. Er hat seine repressiven Fähigkeiten demonstriert und alles getan, um alle staatlichen Institutionen zu kontrollieren und eine Opposition zu verhindern. Das erste Zeichen war, das Parlament zu übernehmen und den Abgeordneten zu zeigen, dass die Streitkräfte und viele Menschen bereit sind, sie abzusetzen, wenn sie nicht tun, was er sagt. Als er die Parlamentswahlen gewann, hat er als erstes den Obersten Gerichtshof entlassen und dann die Verfassungskammer und den Generalstaatsanwalt ausgetauscht. Nach und nach entfernte er Richter*innen und Beamt*innen, die wie in jeder demokratischen Gesellschaft die Exekutive kontrollieren. Und das alles nur, um mehr Macht zu haben. Er rechtfertigt seinen Autoritarismus damit, dass er beliebt ist und die Bevölkerung mag, was er tut. Denn die Bevölkerung will, dass er El Salvador verändert. Andererseits betreibt er einen Diskurs des Hasses gegen Menschen, die sich seinen Methoden widersetzen, und er teilt die Menschen ein in Gute und Böse. Die Bösen sind wir, die ihn kritisieren und Demokratie fordern. Die Guten sind diejenigen, die ihn in allem unterstützen, was er tut.

Wie kommt es, dass Bukele weiterhin so viel Zustimmung in El Salvador und darüber hinaus hat?

Die Leute wollen schnelle Antworten. Genau das verkauft er. Er ist Publizist und hat eine Menge Werbeberatung. Er hat analysiert, dass die Menschen nicht fünf oder zehn Jahre warten wollen, bis ein Problem gelöst ist, sie wollen jetzt eine Antwort. Er verkauft uns ein Bild, das in Wirklichkeit, wie er in einer Rede sagte, bittere Medizin ist. Einige werden also unter den Kosten leiden, aber am Ende werden wir alle gewinnen. Die breite Bevölkerung weiß, dass es Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen gibt. Aber da es sie nicht betrifft, ist es in Ordnung, dass es passiert. Sie glauben, es ginge ihnen besser, aber sie analysieren weder, dass wir eine sehr kritische wirtschaftliche Situation mit hoher Verschuldung haben, noch dass es nicht stimmt, dass wir sehr sicher sind.

Wenn aber Bukele es mit seinen Strategien geschafft hat, eine subjektive Wahrnehmung von Sicherheit zu kreieren, warum wurde der Ausnahmezustand dann zum 19. Mal verlängert?

Bukele hat angekündigt, dass der Ausnahmezustand so lange bestehen bleibt, wie er es für notwendig hält. Das wird sehr wahrscheinlich bis nach den Wahlen sein, bei denen er verfassungswidrig wieder zum Präsidenten gewählt wird. Aber die wirtschaftliche Lage spitzt sich seit einem Jahr immer mehr zu. Teure Lebensmittel, hohe Lebenshaltungskosten. Und die Bevölkerung ist sich nicht bewusst, dass dies auf Bukele zurückzuführen ist, der das Land mit Dingen wie dem Kauf von Bitcoin verschuldet hat. Er präsentiert keine konkreten Lösungen, sondern Werbestrategien.

Was kann man deiner Meinung nach tun?

Vor allem die Bevölkerung darüber informieren, was in El Salvador wirklich passiert. Die Leute hören nur auf das, was Bukele sagt. Aber wenn man die Lebensgeschichten von Menschen erzählt, die umgebracht oder gefangen genommen wurden, wenn man die wirtschaftliche Situation des Landes darstellt, wenn man echte Informationen gibt, können sich die Menschen ändern. Aber es ist auch wichtig, sich bei Regierungen und Unterstützer*innen El Salvadors einzusetzen. Internationaler Druck hat schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Die internationale Zusammenarbeit sollte Bukele Bedingungen stellen. Dazu gehören die Achtung der Menschenrechte und die Beendigung des Ausnahmezustandes, eine Politik der Partizipation und Investitionen in die Bevölkerung, nicht in Kampagnen. Außerdem eine Untersuchung der Korruption in seiner Regierung.

  • 1. Die Vorgängerregierungen hatten auch Verhandlungen geführt, die stark kritisiert worden waren. Siehe auch Artikel von Lya Cuéllar auf Seite 13.

Das Interview führte Lena Voigtländer während des Koordinationstreffens der Deutsch-Schweizer El-Salvador-Solidaritätsgruppen Ende September 2023 in Frankfurt. Zaira war eingeladen, um dort über den von ihr mitherausgegebenen Bericht „Ein Jahr Ausnahmezustand: eine dauerhafte Maßnahme der Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen“ (Informe: Un año bajo el régimen de excepción: Una medida permanente de represión y de violaciones a los derechos humanos) zu sprechen.