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Liebeserklärung an die Revolution

Jörg Magenaus „Liebe und Revolution“ über Arbeitsbrigaden in Nicaragua
Helmut Schaaf

Bei dem Titel und dem Cover dachte ich gleich an Kitsch, nahm das Buch dann aber doch in die Hand. Jörg Magenaus 2023 erschienener Roman „Liebe und Revolution“ lockte mich mit Erinnerungen an eine hoffnungsvolle Zeit. 1979 hatten die Sandinist*innen die Somoza-Diktatur gestürzt, in den folgenden Jahren reisten Brigaden von Internationalist*innen zur Unterstützung, aber auch auf der Suche nach politischer Orientierung, nach Nicaragua. Ich habe dann lange an dem Buch gelesen, denn vieles hat mich angerührt. Mir sind Bilder, Erlebnisse und Melodien in den Kopf gekommen, die Nachdenklichkeit hinterlassen haben. Ich bin mitgegangen bei den Einschränkungen, der zunehmenden Sorge und den Toten, die wir teilweise gekannt haben.

Das Buch setzt geradezu mit einem Kontrapunkt zu Nicaragua ein, dem Fall der Berliner Mauer und der Begeisterung der ersten DDR-Bürger*innen, die in das untergehende Westberlin strömen. Zu der Zeit waren die Hoff­nungen schon deutlich gedämpft, die meisten Brigadist*innen lebend zurück und Nicaragua so durch den Contrakrieg zermürbt, dass man sehr standhaft sein musste im Angesicht der Wende – auch in Nicaragua. Das fällt Paul und Beate, den beiden Romanfiguren, schwer. Schwierig ist auch, dass sie nicht wirklich zueinanderkommen, aber auch nicht voneinander lassen können, was sich als Parabel und Parallelgeschichte durch den Roman zieht und dabei wenig an Klischees auslässt.

Pauls Politisierung erfolgt über Beates Lesegruppe. Er wäre sogar hingegangen, wenn sie dort Pippi Langstrumpf diskutiert hätten, aber so war es Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“. Zudem besucht Paul natürlich die „obligate“ Vorlesung „Einführung ins Kapital“ bei Haug. Sie wird der „nie wieder erreichte Höhepunkt seines Studiums“. Hier hört er, dass sich vielleicht „Sozialismus und Demokratie ja doch vereinen ließen, Organisation und Subjektivität kein Widerspruch sind, sondern ineinander verzahnte Prinzipien“.

Mit diesem theoretischen Rüstzeug stolpert Paul in die Nicaraguasolidarität, sich nie ganz sicher, ob er wirklich dazugehört. Dabei wird er so etwas wie ein teilnehmender Beobachter der Bewegung, was ihn schließlich zu einem Arbeitseinsatz nach Nicaragua führt. Dort treffen wir auf die „Compañeros“ der Bewegung, sie reichen von den ideologiefesten Genoss*innen über die mitmachenden Zuschauenden bis zu denen, die tatsächlich etwas beitragen können, zum Beispiel durch ein Handwerk.

Was bleibt von der Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft?

Dazwischen lesen wir von Beziehungsgeschichten, bei denen es richtig wehtun kann, wenn Magenau durch Pauls Augen auf die Frauen schaut. Eine, die er zu lieben versucht, wird auf dem Weg ins Gebiet der Contras verschleppt.

Statt der geplanten sechs Wochen bleibt Paul sechs Monate, so lange, bis unübersehbar wird, dass es nichts nützt, im Sinne der Frauenermächtigung eine Halle für Näherinnen zu bauen, wenn keine Stoffe aufzutreiben sind und die Contras die möglichen Aufkäufer umbringen. So lange braucht es auch, bis er weiß, dass er nicht wirklich zum Revolutionär taugt.

Ich habe beim Lesen über diesen Weg nach Nicaragua und zurück vieles gefunden, was uns in Köln zur Nicaraguasolidarität gebracht hat, auch wenn mein Zugang ein anderer war. Wir haben in den „Basisgruppen“, der Fachschaft und dem Allgemeinen Studierendenausschuss AStA Nicaragua als „Beispiel und Hoffnung im Kampf für eine gerechtere Gesellschaft“ plakatiert – und es auch so gemeint. Eine nachhaltige Veränderung gelang uns nicht.

Hängengeblieben bin ich auch, wo der ehemalige taz-Redakteur Magenau Marx wiedergibt: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ Ich sehe ein Wahlkampfbild mit dem Präsidenten Nicaraguas, Daniel Ortega, auf einem Schimmel vor mir, wenn ich weiterlese: „(…) gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.“

Ob es eine Chance für das private Glück von Paul und Beate geben wird, bleibt offen. Auf jeden Fall hat Jörg Magenau dieser Zeit in gewisser Weise eine Liebeserklärung gemacht.