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Die Linke hat bisher kaum mit der Regierung von Rafael Correa interagiert

Interview mit Gustavo Ayala, Vorsitzender der Sozialistischen Partei

Die Sozialistische Partei (Partido Socialista – Frente Amplio) unterstützte Rafael Correa 2006 bei seiner Präsidentschaftskandidatur. Gustavo Ayala beschreibt die gegenwärtige Regierung als progressiv im Sinne einer Transition innerhalb eines Streitklimas: „Es handelt sich um eine Regierung, die den Weg aus dem Neoliberalismus ohne Umkehr ebnen muss und dabei alle Möglichkeiten ausschöpft.“ Vor der nationalen Verfassunggebenden Versammlung befragten wir ihn zur Beteiligung der Linken sowie der sozialen und indigenen Bewegungen und baten ihn um seine Einschätzung zum Verlauf der Versammlung.

Ylonka Tillería

Wie schätzen Sie die Beteiligung der Linken in der Regierung ein?

Man kann nicht sagen, dass die Regierung links ist, aber die Linke ist präsent, wenn auch als Minderheit. Die Regierung besteht aus einem Bündnis, angeführt von Correa, den wir unterstützen. Natürlich gibt es da sogar Personen aus dem rechten Spektrum. Damit meine ich Leute wie Fernando Bustamante, der im engen Kontakt zur US-amerikanischen Botschaft steht, oder die Spitzenministerin für Entwicklung, eine Funktionärin der Weltbank. Es existieren also ziemlich heterogene Bedingungen innerhalb der Regierung.

Wo kann man den Diskurs des Präsidenten einordnen?

Ich glaube, Rafael Correa ist eine fortschrittliche Führungspersönlichkeit mit neostrukturalistischen und neoökonomischen Denkansätzen. Eine Person mit christlichen, auf eine gewisse Weise traditionellen Werten, die jedoch für einen Bruch mit der herkömmlichen Politik der letzten dreißig Jahre steht. Für uns ist dies außerdem eine politische Führung, die stark in die Gesellschaft eingesickert ist und es geschafft hat, jene Energien zu kanalisieren, welche begierig auf einen Wandel hofften. Darüber hinaus, glaube ich, repräsentiert sie die Müdigkeit, die sich angesichts der repräsentativen Demokratie und der Politik im Allgemeinen breit gemacht hat, die an ihre Grenzen gestoßen sind.

Der herrschenden Block mußte bei den Präsidentschaftswahlen und den Auseinandersetzungen um die Verfassunggebende Versammlung schwere Niederlagen hinnehmen. Wie stellt er sich heute dar?

Wir glauben, dass sich der hegemoniale Block in einem Prozess der Umorientierung befindet, sogar intern, und somit sein politisches Vermittlungsgeschick eingebüßt hat. Dennoch sind die faktischen Mächte nach wie vor intakt. Das heißt, Parteien wie die Christdemokratische Partei (Democracia Cristiana) und die Christsoziale Partei (Partido Social Cristiano) haben zwar Einbußen hingenommen, aber auf gesellschaftlicher Ebene haben sie ihre Macht behalten. Wir glauben, dass diese Niederlage für die Rechte – erstens der Wahlsieg Correas und später der Prozess der Verfassungsversammlung – bewirkt hat, dass sie die Nachhut bildet und es weder schafft, ihre Führungskräfte noch aufkommende Organisationen zu stärken, um ihr neoliberales Modell aufrechtzuerhalten. Einige Teile von ihnen, vielleicht die Intelligenteren, konnten sich jedoch tatsächlich in die institutionellen Strukturen einfügen, sogar als Minderheit in der Regierung.

Auf welche „faktischen Mächte“ beziehen Sie sich?

Ich beziehe mich auf die mächtigen Wirtschaftsgruppen des Landes wie die von Fidel Egas in der Sierra, Isaías an der Küste oder Noboa mit seinen unterschiedlichen Facetten. Aber auch auf die US-amerikanische Botschaft und das Gewicht, das die Medien innehaben.

Wo bleibt in diesem Augenblick die Partizipation der sozialen und indigenen Bewegungen? 

In Ecuador und auch in anderen lateinamerikanischen Ländern, gehen Wahlerfolge von Mitte-Links-Bündnissen mit einem Rückgang sozialer Bewegungen einher – das muss man so sehen. Die indigene Bewegung, welche in gewisser Weise stellvertretend für die Arbeiterbewegung der 80er Jahre aktiv war, stellte ein zentrales Element im Widerstand gegen den Neoliberalismus der 90er Jahre dar. Die indigene Bewegung war ein Sammelbecken für Widerstand, Kritik und alternative Entwürfe. Dennoch findet eine Schwächung des organisierten sozialen Netzwerks statt. Wir haben bisher nicht bestimmt, wie wir mit einer uns nahe stehenden Regierung in Beziehung treten sollen und dabei unsere Unabhängigkeit und unser Programm aufrechterhalten. Bisher haben wir kaum mit der Regierung interagiert.

Es wird vielfach darauf beharrt, dass dieser politische Aufschwung auf ein Erwachen in der Zivilgesellschaft zurückzuführen ist. Was meinen Sie dazu?

Wir haben kein Entstehen sozialer Bewegungen feststellen können. Für uns stellt der Begriff des Bürgers ein fehlerhaftes Bild zur Umschreibung des Volkes dar. Das Bürgerliche ist eine liberale Vision der Politik. Das Bürgerliche ist kein Garant für den Wandel, sondern die Organisation des Volkes. Die Akteure sind ein Kollektiv aus Menschen von ganz unten aus der „Zivilgesellschaft“, Teilen der Mittelklasse, ArbeiterInnen etc. Wir glauben nicht an eine Zivilgesellschaft versus Staat. Für uns ist das eine falsche Begriffseinordnung. 

Wie ist dieser Prozess des Wandels zu verstehen? 

Ecuador durchlebt den Zerfall eines politischen Systems, dessen demokratische Struktur und Inhalt zur Diskussion stehen. Noch können wir keine Auseinandersetzung mit den zentralen Eckpunkten feststellen. Wir haben mit Nachdruck die Verfassunggebende Versammlung sowie die Entwicklung einer Politik gegen den Neoliberalismus als zentrale Eckpunkte vorangetrieben, wann immer es um Themen geht wie Agrarreformen, Arbeiterrechte usw. Der Neoliberalismus war ein Rückschritt für die Konsolidierung des sozialen Fundaments, welches für uns die einzige Garantie für den sozialen Wandel darstellt. Dies sind entscheidende Elemente, um den Bruch mit dem Neoliberalismus zu untermauern. 

Wodurch zeichnet sich diese Regierung im Kontext Lateinamerikas aus?

Ich glaube nicht, dass es angebracht ist, zwischen einer guten und einer schlechten Linken zu unterscheiden. Jedes Land hat seine eigene differenzierte Entwicklung. Wir verfolgen kein chavistisches Modell noch das der Concertación in Chile – das wäre nicht durchführbar, unmöglich. Ecuador muss seinen eigenen Wandlungsprozess verfolgen und dabei ist Correa sehr ausdauernd gewesen, der im Übrigen kaum der Typ ist, der anderen nacheifert. Ich betrachte das als positiv. Ecuador befindet sich in einem Prozess der transición, des Umbruchs, um einen Weg aus dem Neoliberalismus zu finden. Dieser Prozess wird einige Zeit dauern. Correa hat wichtige Themen angesprochen, beispielsweise das Thema Erdöl. 

Doch noch muss sich das politische System Ecuadors definieren. Was uns Sorgen bereitet, ist, wie sich die progressiven Kräfte des Landes definieren. Wir sind der Meinung, dies ist der Moment, um sich einheitlich zu organisieren, dass wir alle uns zusammenschließen, die gegen den Neoliberalismus gekämpft haben.

Wie beurteilen Sie die Verfassunggebende Versammlung? Welche Gesetzesvorschläge werden angestrebt?

Die Versammlung steht vor der Herausforderung, nicht dem Mythos zu verfallen, alles ließe sich über die Verfassung ändern. Sie muss einfach als ein weiteres Element des Ganzen angesehen werden, mit dem Ziele, dem Staat seine Form zu geben – solche Aspekte wie Demokratie, Richtlinien für die Partizipation, Konsolidierung der Strukturen, Ausbau der Arbeiterrechte, Weiterentwicklung eines demokratischen Staates inklusive. Ein Schlüsselaspekt ist der politische Alltag, der sofort wieder aufgenommen werden muss, damit die Regierung weiß, wie sie sich vom neoliberalen Konsens lösen kann, während sie gleichzeitig konkrete demokratische Alternativen einbezieht.

Das heißt, es bedarf der BürgerInnen, die sich ihrer Rechte vollkommen bewusst sind. Die Verfassungsversammlung ist ein wichtiger Bereich, aber wir haben bereits gesagt, dass die verfassunggebende Entwicklung hier noch nicht endet. Aus diesem Grunde, das möchte ich betonen, werden nicht alle wichtigen Punkte in der Versammlung behandelt werden können, noch wird alles, was man dort behandelt, wichtig sein. Die Verfassunggebende Versammlung ist keine Lösung für all unsere Probleme, und der tatsächliche Wandel hat viel mehr mit strukturellen Fragen zu tun und der Entwicklung einer alternativen Politik zum Washington Consensus. (Grundvereinbarung des Neoliberalismus – die Red.) Das Wichtigste ist jedoch, einen derartigen Wandel herbeizuführen, der die Wechselwirkung zwischen den Kräften verändert – und dies kann nur aus der Mitte des Volkes kommen.

Gustavo Ayala hat den Master für „Internationale Beziehungen“ an der Universidad Complutense in Madrid gemacht und anschließend an der Universidad Autónoma zum Thema Demokratietheorie promoviert.

Das Gespräch führte Ylonka Tillería. Sie studierte Kommunikationswissenschaften an der Universidad Central in Ecuador, ist Magister der Kulturwissenschaften an der Universidad Andina Simón Bolívar in Ecuador und Mitarbeiterin bei verschiedenen Medien in Ecuador.