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Eine kleine Widerstandsgeschichte

Seit mehr als 35 Jahren kämpfen Solidaritäts- und Umweltgruppen gegen Atomgeschäfte
Gert Eisenbürger

Als im Juni 1976 das deutsch-brasilianische Atomabkommen unterzeichnet wurde, protestierten die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Studenten- und Hochschulgemeinden (AGG) und die Brasilien-Koordinationsgruppe von amnesty international (ai) in einem Schreiben an die Bundesregierung und die brasilianische Botschaft in Bonn gegen den Vertrag. Sie wiesen auf die schweren Menschenrechtsverletzungen in Brasilien hin, stellten die Notwendigkeit von AKWs in Frage und warnten vor der Möglichkeit der militärischen Nutzung der Technologie für den Bau von Atomwaffen. Um den Widerstand gegen das Atomgeschäft auf eine breitere Basis zu stellen, suchten die in der „Aktion Brennpunkt Brasilien“ zusammengeschlossenen Solidaritätsgruppen die Zusammenarbeit mit den Anti-Atom-Initiativen, die Mitte der siebziger Jahre zur wichtigsten sozialen Bewegung in der BRD geworden waren. 

Als Ergebnis dieser Bemühungen veröffentlichten die AGG und die ai-Brasilien-Koordinationsgruppe zusammen mit dem „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU) im Dezember 1976 die Broschüre „Das deutsch-brasilianische Atomgeschäft“. Sie lieferte umfangreiches Hintergrundmaterial zu dem Abkommen, enthielt zahlreiche Stellungnahmen aus Deutschland und Brasilien und dokumentierte den Vertragstext selbst. Die HerausgeberInnen sahen die Broschüre ausdrücklich als Medium der Opposition gegen dieses Geschäft, das denjenigen Argumente an die Hand geben wollte, die sich dagegen engagierten – in Deutschland wie in Brasilien. Wobei die Bedingungen in Brasilien wegen der dort herrschenden Militärdiktatur als ungleich schwieriger gesehen wurden.

Wie schon in dem Protestschreiben vom Juni 1976 betonten die AutorInnen vor allem die Gefahr der militärischen Nutzung der Atomtechnologie durch die brasilianische Militärdiktatur, wiesen aber auch darauf hin, dass im Energieverbrauch eine größere Verteilungsgerechtigkeit zugunsten der Dritten Welt hergestellt werden müsse.

Im Juni 1979 erschien das ila-info – so hieß die ila bis Februar 1988 – mit einem Schwerpunkt zum Thema „Atomgeschäfte“. Damals hatte eine Ausgabe nur 24 Seiten (heute 56-64) und „Schwerpunkt“ war der erste und längste Artikel im Heft. Auf sieben Seiten gab Thomas Nowotny im ila-info Nr. 26 (die vorliegende Ausgabe ist die Nr. 350!) einen Überblick über das Atomgeschäft mit Brasilien, dem bis dahin größten Exportauftrag der bundesdeutschen Industrie. Er stellte die Probleme beim Bau des Reaktors Angra dos Reis dar, skizzierte die deutsch-argentinische Zusammenarbeit im Nuklearbereich und erörterte die Perspektiven des Widerstandes. Er unterstrich dabei ebenfalls die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Anti-AKW-Bewegung, aber auch langfristig mit den „Arbeitern“, die bisher noch dem von Unternehmen und Gewerkschaftsführungen vorgebrachten Argument der Arbeitsplatzsicherung Glauben schenkten. Jenseits der Gefahr ihrer militärischen Nutzung, die auch für uns damals das gewichtigste Argument gegen Atomgeschäfte war, bezeichnete er die Atomtechnologie insgesamt als menschenfeindlich.

Im Jahr 1980 angelte sich die deutsche Atomindustrie dann erneut einen Großauftrag, diesmal aus Argentinien. Auch hier machten Solidaritätsgruppen sofort mobil, vor allem weil sich die argentinische Militärjunta unter den Diktaturen des Subkontinents durch die größte Brutalität auszeichnete. Wie im Falle Brasiliens wurde die Gefahr, dass ein derart menschenverachtendes Regime zu Atomwaffen kommen könnte, noch über die ökologischen Bedenken gegen die Kernenergie gestellt. Im Mai 1981 veröffentlichte das FDCL, das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika in Berlin, eine Broschüre mit dem Titel „Der Griff nach der Bombe – Das deutsch-argentinische Atomgeschäft“ mit ausführlichen Hintergrundinfos zu den Interessen der bundesdeutschen Industrie und dem Charakter des argentinischen Militärregimes. Wie die erwähnte Brasilien-Broschüre von 1976 richtete sich auch diese Publikation primär an politische AktivistInnen.

Es gab Anfang der 80er-Jahre eine vergleichsweise breite Kampagne gegen die atomare Kooperation der SPD/FDP-Regierung in Bonn mit der argentinischen Militärdiktatur, wobei diese Mobilisierung auch ihre Widersprüche hatte. Ich erinnere mich an ein ila-Plenum, es muss Ende 1980 oder 1981 gewesen sein, auf dem Thomas Nowotny und Werner Rätz von einem Bundestreffen der Argentinien-Solidarität berichteten, wo es um eben diese Kampagne ging. Bei der Diskussion sei es zu heftigen Kontroversen zwischen Deutschen und exilierten ArgentinierInnen gekommen. 

Während die hiesigen Gruppen Atomenergie und Atomexport grundsätzlich ablehnten, waren die argentinischen AktivistInnen, insbesondere die linksperonistischen Montoneros, nur gegen ein Atomabkommen mit der Militärdiktatur. Sobald diese besiegt sei, sollten in Argentinien selbstverständlich Atomkraftwerke gebaut werden, schließlich wolle man Spitzentechnologie haben – eine Argumentation, die am Rio de la Plata bis heute große Bedeutung hat, wie der Beitrag „Von der Hightech-Begeisterung zur Ernüchterung“ von Michael Álvarez in dieser ila zeigt. Anstelle der zunächst vorgeschlagenen Formulierung „Kein Atomgeschäft mit Argentinien“ einigte man sich nach zähen Debatten schließlich auf „Kein Atomgeschäft mit der Junta“ als Hauptforderung der Kampagne.