ila

Menschenrechte: keine Frage von Freiwilligkeit

Rezension zu „Konzerne unter Beobachtung. Was NGO-Kampagnen bewirken können“
Britt Weyde

Sehen Sie sich die Webseite des Unternehmens an. Sie haben den Eindruck, dass es sich um die Webseite einer Umweltorganisation handelt.“ Das so geadelte Unternehmen ist Shell, der Spott stammt von Danièle Gosteli Hauser von Amnesty International (Schweiz). Für das Buch „Konzerne unter Beobachtung. Was NGO-Kampagnen bewirken können“ stand sie dem Schweizer Publizisten und Ökonomen Markus Mugglin zu Erfolgen und Misserfolgen der Nichtregierungsorganisationen (NRO oder engl. NGOs) Rede und Antwort. Das Buch ist jedoch mitnichten eine Interviewansammlung (ein weiteres, erhellendes Gespräch mit Nestlé-Vorstand Peter Brabeck-Letmathe ist noch darin zu finden), vielmehr eine Bestandsaufnahme des Spannungsverhältnisses zwischen Konzern(macht) und Kampagnenarbeit von NRO, mit Fokus auf die letzten 20 Jahre, seitdem die Unternehmensverantwortung für Menschenrechtsverletzungen stärker ins öffentliche Bewusstsein gelangt ist. Die Entwicklungen zeigt Markus Mugglin anhand einer Handvoll Schweizer Großkonzerne auf. Er beginnt mit dem Lebensmittelkonzern Nestlé. Im Mai 1974 löste die Broschüre „Nestlé tötet Babys“ rund um Nestlés irreführende Werbung für Babynahrung in den Ländern des Südens einen Riesenskandal aus. Der Lebensmittelgigant geriet immer wieder in die Kritik, sei es wegen Kinderarbeit, eines ermordeten Gewerkschafters oder wegen des Umgangs mit knappen Ressourcen. Aufgrund des beständigen Drucks hat sich denn auch die Unternehmensstrategie gewandelt. Mittlerweile wird schnell auf Kritik reagiert, Dialoge mit NRO werden geführt sowie regelmäßige Berichte über die Bemühungen des Konzerns in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrechte veröffentlicht. Das neue Zaubermotto lautet „Creating Shared Values“, also philantropisches Engagement von Unternehmen, die so „soziale und wirtschaftliche Werte schaffen“ und nebenbei ihr Image aufpolieren. Diese Erfolge werden jährlich in der dicken Broschüre „Nestlé in society“ veröffentlicht. Dass damit noch lange nicht alles in Butter ist, wird Autor Markus Mugglin nicht müde zu betonen: Charakteristisch für das Spannungsverhältnis Unternehmen-NRO seien stetige Fortschritte und Rückschläge; NRO, Medien und AktivistInnen müssten dranbleiben, immer wieder das Handeln der Konzerne überprüfen und wenn nötig erneut Druck ausüben. Freiwillige Standards reichen erwiesenermaßen nicht aus, weshalb die Schweizer NRO den Stab an die Politik weiter reichen, von der sie Einfluss auf Konzernpraktiken verlangen.

Die meisten Unternehmen zeigen sich heutzutage – anders als vor 20 Jahren – gesprächsbereit und lassen zum Teil Selbstkritik zu. Schließlich gibt es ein stärkeres Bewusstsein für Menschenrechtsverletzungen und einen Anteil bewusster KonsumentInnen, dank der Informationsarbeit von NRO und kritischen Medien: Immer mehr Leute wollen wissen, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden. So hat es einen wahren Boom von Fairtrade-Produkten in den Schweizer Supermarktketten Migros und Coop gegeben; die Schweiz ist Vize-Weltmeister im Fairtrade (hinter Irland). Pro Kopf geben die SchweizerInnen jährlich 47 Euro für Fairtrade-Produkte aus (in Deutschland sind es ca. 15 Euro). Diese Zahlen zeigen jedoch, dass das Marktsegment zwar wächst, aber immer noch eine absolute Nische ist.Ähnliches gilt für den Bankensektor. Mugglin stellt dar, wie „nachhaltige Geldanlagen“ angestiegen sind (wobei die Kriterien für „Nachhaltigkeit“ lax sind, etwa lediglich „Investitionen in den Bereichen Anti-Personen-Minen und Streubomben“ ausschließen, S. 65), aber immer noch weniger als zwei Prozent der von der Schweizer Großbank UBS verwalteten Vermögen ausmachen. Kerngeschäft seien Investitionen in den Abbau von fossilen Brennstoffen – Kohle, Gas oder Erdöl. „Mit seinen Investitionen in die globalen Finanzmärkte unterstützt der Finanzplatz Schweiz so ein globales Klimawandelszenario von vier bis sechs Grad Celsius“, zitiert Mugglin die Studie „Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz Schweiz“ (S.77).

Apropos Rohstoffe: Der Autor erwähnt ein pikantes Staatsgeheimnis der Schweiz. Mehr als drei Jahrzehnte lang gab es keine Informationen darüber, woher das gehandelte Gold stammte und wohin es verkauft wurde. Hintergrund: Goldgeschäfte mit dem ehemaligen Apartheidstaat Südafrika sollten nicht publik werden. So wurden die Goldflüsse aus der Zollstatistik entfernt, mit absurden Folgen: Das Schweizer Wirtschaftsministerium führte lange Zeit Agrarprodukte als wichtigsten Importposten aus Peru in die Schweiz an. Den peruanischen Exportstatistiken zufolge machte jedoch Gold mehr als 95 Prozent aller peruanischen Exporte in die Schweiz aus (S. 99)! Recherchen von der Gesellschaft für bedrohte Völker deckten 2011 Verbindungen zwischen schweizerischen Goldraffinerien und illegalen Goldschürfern in Peru auf.Das gut lesbare Buch verschafft einen soliden Überblick und teilweise vertiefte Einblicke in die Thematik, mitunter wären mehr konkrete Beispiele statt dem Referieren von Unternehmensverlautbarungen interessant gewesen. Ein Verdienst des Autors ist es, die ganzen freiwilligen Standards und Abkommen zu Unternehmensverantwortung und Menschenrechten, die in den letzten Jahrzehnten lanciert worden sind und von deren technischen Bezeichnungen und Abkürzungen dem Nichteingeweihten schwindelig werden kann – von den „UNO-Leitprinzipien“ über die „ISO-Norm 26000“ bis hin zur „Corporate Social Responsibility der Post-2015-Agenda“ – verständlich aufzudröseln. Ein ausführlicher Anhang über die „Beobachter“, also NRO, Hilfswerke und unternehmenskritische Netzwerke, macht das sehr aktuelle Buch komplett.