ila

Der Kampf geht weiter, Genosse

Genieß den Ruhestand, lieber Gert. Abschiedsgedanken aus dem ila-Büro
Britt Weyde

„Und Genossin, was macht der Kampf?“, so begrüßte mich Gert stets während unserer gemeinsamen Zeit in der Redaktion der ila. Die 25 Jahre Büro-Ehe haben wir nicht ganz voll gemacht. Aber wer kann schon von sich behaupten, eine so lange Zeitspanne (von Anfang 1999 bis Ende 2023) im Zweier-Team zusammengearbeitet zu haben? Da wird viel geteilt, zusammen gelitten und gelacht. Wer jetzt denkt, äh, Zweier-Team, so viel zur Aufklärung: Die ila ist ein Redaktionskollektiv und ein Riesennetz an weltweit Mitarbeitenden. Die sich alle ehrenamtlich für die ila einsetzen. Damit aber zehn Mal im Jahr ein 50 bis 60 Seiten dickes Heft zuverlässig und in guter Qualität erscheint, braucht es (Teilzeit-)Festangestellte. Und das waren in der Zeit ab der Jahrtausendwende Gert Eisenbürger und ich.

Vor 13 Jahren feierte Gert seinen 50. Geburtstag, auch unser letztes Jahr verstorbener ehemaliger Layouter Aldi machte zeitgleich die fünf Jahrzehnte voll. Zu diesem Anlass veröffentlichten wir eine (interne) Sonder-ila für die beiden, aus der ich an dieser Stelle zitieren möchte.

Rückblick

Eine Freundin brachte mich zur ila. Sie hatte dort im Frühjahr 1995 ein Praktikum absolviert und empfahl es mir wärmstens weiter. So trat ich meinen ersten Praktikumstag im September 1995 an. Ich war Mitte der 90er-Jahre eine kurzgeschorene Jungautonome, die mit ihrem Studium unzufrieden war, da die meisten Kommiliton*innen meines Erachtens sich alternativ gerierende, letztlich aber elitäre Karrierist*innen waren, die den neoliberalen Profs an der Kölner Uni völlig kritiklos an den Lippen hingen. Im Vergleich zu meiner veganen, politisch korrekten Punker-WG kam mir die ila zwar etwas oldschool daher, aber ich fühlte mich sofort wohl. Allerdings verunsicherte mich zu Beginn ein wenig, dass Gert nicht so häufig den direkten Blickkontakt suchte.

„Wir waren dir damals zu wenig radikal“, sagte Gert einige Jahre später lachend, und ich stimmte in sein Lachen ein. Da waren wir schon Kolleg*innen, denn nachdem mein Vorgänger die Redaktion verlassen hatte, suchte die ila nach einer zweiten Redakteurin im Büro. „Das soll kein subalterner Posten sein“, stellte Gert klar, und ich war beeindruckt – cooles Wort und coole Ansage.

Gert begegnet allen von Anfang an auf Augenhöhe, auch den naivsten Praktikant*innen (wobei es die in der ila praktisch nicht gibt), trotz seines enormen Wissensvorsprungs. Aber über sein beeindruckendes lexikalisches Wissen haben schon viele andere geschrieben.

Was will man mehr als Bürogenossen: ein heiterer, in sich ruhender Mensch, mit dem man sich über alles unterhalten kann, auch über Fachfremdes. Über Jahre analysierten wir jeden Montag den Tatort vom Vorabend. Oder das weite Feld Musik: Gert und ich teilen die Begeisterung für bestimmte afrikanische und karibische Musik, eine Zeit lang haben wir uns gegenseitig unsere neuesten Schätze mitgebracht und gebrannt. (Nachtrag: Auch über Rezepte und Gartenmethoden lässt sich mit Gert hervorragend fachsimpeln.)

Die Schwerpunkthefte, die wir faktisch gemeinsam betreut haben, weil wir uns beide so sehr für das Thema begeisterten, waren folglich „Musik in der Karibik“, „Haiti“, aber auch „Jüdisches Leben“ (Nachtrag: außerdem „Buen Vivir“, „Anarchismus“ und „Musikinstrumente“), und die haben ganz schön gerockt. Das nennt man wohl Synergieeffekte. Gert und mich verbindet die Liebe zu dem kleinen, verschrobenen, südamerikanischen Land Uruguay und seinen Leuten, was in ein gemeinsames Buchprojekt mündete, zusammen mit zwei weiteren Genossen. Für unsere Buchpräsentation in Bonn konnte ich Gert davon überzeugen, das Ganze medial aufzupeppen. Schließlich ist Gert in der Hinsicht wirklich oldschool. Er lästert mit Hingabe über den Wahn, alles zu verpowerpointisieren. Für den Vortrag suchten wir ein paar schöne Fotos aus, sowie zwei, drei Musikstücke. Die Leute vom Buchladen Le Sabot waren höchst erstaunt, dass wir Laptop und Beamer angefordert hatten; sie waren felsenfest davon ausgegangen, dass die ila nicht auf technischen Schnickschnack zurückgreifen würde.

Gert und meine Tochter (Nachtrag: die bis zu ihrem 12. Lebensjahr häufig mit in die ila kam) sind ein Spitzenteam. Er kann ihr so schön erklären, wer Che Guevara war oder warum zu einem Streit immer zwei gehören.

Faszinierend ist es, mit welcher Begeisterungsfähigkeit und Beharrlichkeit Gert sich in bestimmte Themen einwühlt. Häufig sind es historische Themen, gerne bisher wenig Beleuchtetes, beispielsweise seine Fleißarbeit über die literarische Verarbeitung der Haitianischen Revolution in Deutschland, für die er mindestens elf Bücher in kurzer Zeit gelesen hat. So etwas nennt man wohl intrinsische Motivation.

Es gibt nur wenige Dinge, die Gert auf die Palme bringen können. Meist hat es mit Computertechnik zu tun. Dann kann es mitunter zu einem cholerischen Ausbruch im Nebenbüro kommen. Das passiert jedoch in der Regel während des Layouts, und auch nur dann, wenn besonders viel Druck herrscht.

Krisen und Kollektivität

Als ich das schrieb, hatte die ila noch den „Luxus“ einer Geschäftsführung in Person von Gernot Wirth. Er nahm uns die ungeliebten Aufgaben ab – Buchhaltung, Bestellungen, Aboverwaltung, Systemadministration, Einkauf von Büromaterial, Reparaturen, Putzen etc. – sodass Gert und ich uns auf die Redaktionsarbeit konzentrieren konnten. Der Versand der Zeitschrift ist allerdings schon immer kollektiv gewesen. Rückblickend betrachtet waren diese Jahre sehr gemütlich. Lange Zeit war ich das Küken in der Redaktion, das sich innerhalb der ila, größtenteils von Boomern gegründet und getragen, respektiert und aufgehoben zugleich fühlte.

Die erste größere Veränderung im Büroalltag trat ein, als Gernot, die gute Fee der Geschäftsführung, in Rente ging. Unser Layouter Aldi, der letztes Jahr tragisch verstorben ist, übernahm den Vertriebsklumpatsch, restliche Aufgaben versuchten wir mehr schlecht als recht auf mehrere Schultern zu verteilen.

Nicht untypisch für langjährige Verbindungen, begann unsere Büro-Ehe in dieser Zeit Abnutzungserscheinungen zu zeigen. Wer übernimmt die ungeliebten Aufgaben? Sieht der/die andere, was ich alles mache, um den Laden am Laufen zu halten? Ganz normale Konflikte um ganz normale menschliche Bedürfnisse im Zusammenleben. Wie in jeder Beziehung galt aber auch hier: Wenn das einst gemeinsam geschaffene Fundament stark genug ist, hält es auch so manche Krise aus. Und die nächste größere trat ein, als sich herausstellte, dass unser Aldi schwer erkrankt war. Das war vor allem eine menschliche Tragödie, es machte aber auch viel mit dem Büro- und Redaktionsalltag der ila. Das Chaos in der Verwaltung schien eine Zeit lang unüberwindbar.

Paradoxerweise ließen uns die beiden Pandemiejahre alle richtig zusammenrücken. Die wichtige inhaltliche und politische Arbeit der ila-Redaktion motivierte uns und war dank digitaler Tools zu bewältigen; die zwar stark reduzierten, aber nach wie vor stattfindenden gemeinsamen Layout- und Versandtage hielten uns sozial und emotional über Wasser.

Nun ist die Pandemie Vergangenheit, und in der ila haben wir vorletztes Jahr den Generationswechsel eingeleitet. Wir sind jetzt quasi Poly. Denn letztes Jahr ist meine fantastische, ultra-kluge und engagierte Kollegin Mirjana angetreten, um Gerts Platz (mit) einzunehmen. Und Gert ist ja zum Glück nicht weg vom Fenster. Mit seinem Wissen, seinen Kontakten, seiner Neugier und seinem Humor ist er weiterhin mit am Start. Lediglich die Büro-Ehe hat sich nun transformiert.

In all den langen Jahren haben wir uns in der Betreuung beziehungsweise der Chefredaktion der monatlichen ila-Ausgaben abgewechselt. Ohne Pause, ohne Sabbatical. Gert war immer zugegen, auch bei Husten, Heuschnupfen, Migräne oder nach einer schlaflosen Nacht. Diese Beharrlichkeit, Überzeugung und Begeisterungsfähigkeit sind beeindruckend. Ohne die wäre es auch nicht möglich gewesen, ein Projekt gegen alle Widrigkeiten so lange am Leben zu halten.

Deswegen erhebe ich an dieser Stelle mein Glas mit Moselsekt: Danke lieber Gert, für die gemeinsame Zeit und für alles, was du der ila gegeben und mir beigebracht hast (und dass du mein notorisches Zuspätkommen ausgehalten hast). Der Kampf geht weiter, Genosse!