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Über Liebe und Partys zu singen reicht uns nicht

Interview mit Sergio Acosta, Keyboarder von Dr. Krápula

Mehr Klartext geht nicht: „Sie wollen, dass wir uns an die gewaltsamen Tode gewöhnen/ Wer anders denkt, wird zum Verschwinden gebracht/ Unsere Anliegen sind egal, nur die Gewinne zählen/ Die Ressourcen gehören allen, sind aber privatisiert/ Ein Staat, der Bankern und Banditen dient/ Wir klagen den Missbrauch an, wir sind nicht aggressiv/ Sie wollen uns zum Schweigen bringen und nennen uns subversiv/ Schießt nicht auf uns, wir sind unbewaffnet!/ Respektiert das Leben, die Rechte sind heilig!“, singt Mario Muñoz von der kolumbianischen Band Dr. Krápula im Song „No disparen“, erschienen auf ihrem jüngsten, gleichzeitig neunten Studioalbum „Calle Caliente“. Der Leadsänger bezeichnet sich selbst übrigens als „Subcantante“, als Vize-Sänger. Hauptsänger sei nämlich das Publikum, das bei den Konzerten lautstark zu hören ist. Dr. Krápula ist eine bekannte Band, in Kolumbien sowieso und immer mehr auch darüber hinaus, sie ist preisgekrönt und seit 25 Jahren auf großen Bühnen und Festivals unterwegs. Dennoch sahen sich die Bandmitglieder in der jüngsten Vergangenheit gezwungen, ihrem Land eine Zeit lang den Rücken zu kehren. Über die Gründe dafür und über ihr politisches Selbstverständnis sprach Britt Weyde mit Sergio Acosta (oben), dem DJ und Keyboarder der Band.

Britt Weyde

Ihr habt den Ruf, eine politische Band zu sein. Wart ihr das schon immer?

Ja, dank des Einflusses unserer Eltern. Wir sind in einer Zeit in Kolumbien groß geworden, in der die Mafia, der Drogenhandel, die Guerillas, die Paramilitärs und die Regierung Krieg gegeneinander führten. Als Künstler verspürten wir die Notwendigkeit, uns zu positionieren. Leute wurden umgebracht, um sie zum Schweigen zu bringen. Uns war klar, dass sich etwas ändern musste. Kostenlose Bildung war nicht für alle zugänglich, und nur diejenigen, die eh aus reichen Familien kommen, konnten auf gute Jobs hoffen. Kolumbien ist ein wunderschönes Land, aber durch die vielen Toten mit Blut befleckt. Das wollten wir aufzeigen. Wenn du es schaffst, ein großes Publikum zu erreichen, trägst du Verantwortung. Wir können nicht nur von tollen Partys sprechen, was wir natürlich auch machen. Über die Liebe oder das Entlieben singen wir ebenfalls. Als Künstler trägst du aber gesellschaftliche Verantwortung für das, was in deinem Land passiert.

In den 80er-, 90er-Jahren hatte Rockmusik in Lateinamerika den Ruf, progressiv und system­kritisch zu sein, während sie in Europa bereits für den Mainstream stand. Wie war das bei euren Anfängen in Kolumbien?

Wir starteten vor 25 Jahren in der subkulturellen Ska-Szene Bogotás. Das war damals eine Nische, aber es gab schon kleine Festivals. Diese Szene wuchs schnell, vor allem in der Hauptstadt. Ein Radio-DJ aus Bogotá zog ein Programm mit Ska-Musik auf, was ziemlich bekannt wurde und das Interesse der kommerziellen Radios weckte. Deswegen gelangten wir mit unserer Musik in die Playlists der großen Sender, wurden von einer großen Plattenfirma unter Vertrag genommen und standen im Jahr 2005 mit „La fuerza del amor“ und „El pibe de mi barrio“ monatelang auf Platz 1 der wichtigsten Radiosender. Das waren natürlich nicht unsere politischsten Stücke. Aber die Leute entdeckten dann auch unsere politische Seite und hörten sich an, was wir zu sagen hatten. Vor zehn Jahren begannen wir, Umweltthemen zu pushen, und riefen dafür das Festival „Viva el Planeta“ ins Leben, das Bewusstsein für ökologische Probleme schaffen und darüber informieren möchte, wie man aktiv werden kann.

So ein Festival könnten wir hier gut gebrauchen, schließlich konsumieren wir im globalen Norden die Ressourcen aus Ländern wie Kolumbien, wo die Bevölkerung die ökologischen und sozialen Folgen zu tragen hat.

Die Leute aus dem Norden sollten sich kritisch fragen, was sie konsumieren und wie viele Menschen deswegen gestorben sind oder sterben. Der Konsum von Kokain zum Beispiel und die Frage, welche Ökonomie damit aufrechterhalten wird, wie viele absurde Tode dadurch verursacht werden. Oder das gefrackte Gas, das ebenfalls aus unseren Ländern kommt und die Böden zerstört.

Wer schreibt eure Songtexte?

Unser Sänger Mario schreibt einen Entwurf, den Feinschliff machen wir zusammen. Wir haben recht ähnliche Ansichten, so dass wir uns schnell einigen können. Die Musik entwickeln wir ebenfalls gemeinsam.

Ihr nehmt gerade Songs für ein neues Album auf. Kannst du uns verraten, worum es darauf gehen wird?

Wir leben seit über einem Jahr zum Teil in Deutschland, machen neue Erfahrungen. Das wird sich im neuen Album widerspiegeln. Wir machen uns nach wie vor Sorgen über das, was in der Welt, und natürlich auch in Kolumbien und Lateinamerika, passiert.

Warum lebt ihr momentan in Deutschland?

Wir sind hier mit einem Schutzprogramm für gefährdete Künstler, weil wir unter der Regierung von Iván Duque Probleme bekamen, vor allem zum Ende seiner Amtszeit, als die großen Demos begannen. Sie fingen an, uns zu boykottieren. Wenn wir irgendwo für Auftritte gebucht waren und der Bürgermeister der Stadt von der Rechten war, wurde uns abgesagt. Außerdem gab es üble Kampagnen auf Social Media. Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert, aber das war schon sehr hässlich. Unsere Haltung ist sehr eindeutig. Dafür hassen uns bestimmte Leute.

Wir bewarben uns für das Schutzprogramm, und es klappte. Außerdem treten wir schon seit 2012 in Deutschland auf und haben uns hier eine ganz gute Basis erarbeitet, die wir ausbauen möchten. Von hier aus können wir in anderen Ländern Europas unterwegs sein. In Kolumbien waren wir am Gipfel unserer Berühmtheit angelangt, noch bekannter hätten wir nicht werden können. Momentan treten wir in Kolumbien punktuell auf, zu speziellen Anlässen.

Inwiefern habt ihr euch am Paro Nacional beteiligt?

Wir waren bei den Riesen-Solikonzerten unter dem Titel „Canto por Colombia“ mit dabei, vor allem in den Städten, wo es am meisten Repression gab. Wir spielten auf der Straße, direkt bei den Brennpunkten der Proteste, sowohl in Bogotá als auch in Medellín und Cali. Wir sprachen mit den Leuten und wollten sie mit unserer Musik unterstützen. Außerdem sind wir gewissermaßen die Stimme der Leute.

Du sagtest, dass das Leben in der Diaspora neue Erfahrungen mit sich bringe. Inwiefern schlägt sich das in euren Songs nieder?

Hier haben wir so viel Neues entdeckt, neue Musikstile, neues Essen. In Deutschland gibt es Menschen aus aller Welt. Wir leben uns in eine neue Sprache ein, erleben neue Situationen, die zum Teil besorgniserregend sind. Das wirkt sich auf unsere Arbeit aus. Wir haben mit Musikern von hier zusammengearbeitet und sehr schöne Freundschaften geschlossen. Die werden auf dem neuen Album verewigt sein.

Auf eurem letzten Album habt ihr mit der Band Bukahara aus Köln/Berlin zusammengearbeitet, was am arabisch angehauchten Intro zu „No disparen“ zu hören ist.

Mit Bukahara sind wir gut befreundet. Nachdem wir vor ein paar Jahren ihre Musik entdeckt hatten, luden wir sie zu einer Tour mit uns durch Kolumbien ein. Danach waren wir an ihrer Tour bei insgesamt sieben Auftritten beteiligt. Letztes Jahr sind wir erneut zusammen aufgetreten.

Welche Erwartungen habt ihr an die Regierung von Gustavo Petro?

Wir haben den Regierungswechsel begrüßt, geben aber unsere kritisch-beobachtende Rolle nicht auf und gucken genau hin, ob die versprochenen Veränderungen auch angegangen werden. Klar, der Kongress muss mitziehen, dennoch haben wir Hoffnung, dass sich etwas tut. Das Land braucht nach den ganzen ultrarechten Regierungen einen Richtungswechsel um 180 Grad.

Im Kulturbereich gibt es gute Ansätze, etwa bestimmte Konzertreihen, bei denen Vizepräsidentin Francia Márquez gesprochen hat. Letztes Jahr waren wir dort mit dabei. Ich bin gespannt, ob die großen Festivals mit mehr Mitteln ausgestattet werden. Wir selbst haben Kontakt zu den kolumbianischen Kulturbotschaftern in der Diaspora aufgenommen.

Welches eurer Stücke hat für die stärksten Diskussionen gesorgt?

Da gibt es mehrere! Zum Beispiel „Exigimos“ - wer den Text hört, weiß warum.1 Ironischerweise war dieses Lied im Jahr 2012 für einen Grammy Latino nominiert. Dann „Bam“ aus dem Jahr 2008, das von Verzeihen und Zusammenhalt spricht. Egal, ob wir Soldaten, Guerilleros oder Paramilitärs sind, müssen wir zur Versöhnung gelangen, schließlich sind wir alle Kolumbianer. Unser letztes Werk, „Calle Caliente“, widmet sich - abgesehen von ein, zwei Liebesliedern - der Protestbewegung in Kolumbien. Der Song „No disparen“ bezieht sich auf die rechten Bürgerwehren in Cali, die auf unbewaffnete Demonstrierende schossen.

 

Spielt der Song „Mala fama“2 auf eure Erfahrungen als Latinos in der Diaspora an?

Den Song haben wir zusammen mit der supertollen brasilianischen Band „Francisco, el Hombre“ (sic, spanischer Name) aufgenommen. Wenn du als Latino durch die Welt reist, trägst du das Kreuz auf der Stirn wegen des schlechten Rufs, der uns vorauseilt. Gleichzeitig steht der Latino für Fröhlichkeit.

Ihr habt mit vielen Musiker*innen aus Kolumbien, etwa Juanes, aber auch aus anderen Ländern zusammengearbeitet, vor allem auf dem Album Ama-Zonas (2014), unter anderem mit Manu Chao, Celso Piña, No te va gustar oder Ska-P. Von welcher Kollaboration träumt ihr noch?

Bei dem Album Ama-Zonas arbeiteten wir mit der deutschen Band SEEED zusammen, das Stück heißt „You and I“. Wir waren auch mal Vorband für SEEED in Deutschland. Ich fände es toll, mit Peter Fox oder Dellé noch weiter zusammenzuarbeiten. Oder mit den Toten Hosen, obwohl uns einige Texte von denen definitiv nicht gefallen.

Oh nein! Weißt du, dass es hier zwei Lager gibt, entweder „Die Toten Hosen“ oder „Die Ärzte“. Ich würde euch zu den „Ärzten“ raten. Die sind immer noch ziemlich korrekt. Und ironisch. Und sie haben einen netten Bassisten mit Chile-Background.

Gute Idee, da bräuchten wir nur den Kontakt!

Welche politische Bewegung würdet ihr hierzulande unterstützen?

Puh, darauf bin ich nicht vorbereitet. Vielleicht die Organisation „Viva con Agua“, mit der haben wir bereits zusammengearbeitet, oder Fridays for Future, das fänden wir auch gut, die zu unterstützen.

Hast du eine abschließende Botschaft an das deutsche Publikum?

Bleibt widerständig und macht das, was euch glücklich macht. Die Leute sind manchmal zu sehr bestrebt, Teil von einem System zu sein, das sie unglücklich macht. Deswegen ist es wichtig, dass sich die Leute der Arbeit widmen, die sie glücklich macht. Und das macht die Welt für alle besser.

  • 1. Auszug: „Wir fordern: Respekt für das Leben/ bessere Bildung/ die Wahrheit in den Medien/ alle Informationen/ dass das Wasser geschützt wird/ weil nichts wertvoller ist/ neue Leute in der Regierung/ und dass die ganze Korruption aufhört/ Respekt für die Berge/ und dass der Urwald nicht angetastet wird/ dass das Land zurückgegeben wird/ und der Bauer es wieder bearbeiten kann/ … Wir fordern das, weil wir das Recht auf Protest haben.“
  • 2. Auszug: „Wir Sudacas haben einen schlechten Ruf/ Wir sind gute Leute/ Sind Leute mit schönem Lächeln/ Niemand nimmt uns weg, was wir getanzt haben/ Wir sind Sudacas/ aber anständig.“

https://www.youtube.com/channel/UCqqmgvhRV_KssJ8FGOqSblA Dr. Krápula, „Calle Caliente“, VÖ: 2021, auf allen großen Plattformen Tourdaten: https://patchanka-booking.com/bands/doctor-krapula/

Das Online-Interview führte Britt Weyde am 16. Mai 2023.